Mega-Zyklon verwüstet Frankreichs Insel Mayotte: Warum das eine Migrationsdebatte auslöst
Von Walter Friedl
Langsam wird das gesamte Ausmaß der Zerstörung erkennbar, die der Mega-Zyklon „Chido“ auf der Insel Mayotte hinterlassen hat. „Man fühlt sich wie nach einem Atomkrieg“, bringt Mohamed Ishmael gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die Lage auf den Punkt.
Wo einst Häuser standen, türmen sich jetzt Wellblechberge und unbrauchbarer, weil zerstörter Hausrat; Bäume wurden durch den Sturm, der mit mehr als 220 km/h über das Eiland im Indischen Ozean zog, geknickt wie Streichhölzer; Stromleitungen wurden gekappt; Straßen sind blockiert; Spitäler kaum funktionsfähig.
Und die Opferzahl? Der Präfekt des zu Frankreich gehörenden Überseegebietes, François-Xavier Bieuville, geht von mehreren Hundert Toten aus, möglicherweise auch von einer vierstelligen Zahl.
Die große Unbekannte sind die vielen Migranten, die seit Jahr und Tag auf Mayotte ankommen. An die 100.000 sollen es bereits sein, die allermeisten ohne Papiere und in illegalen Behausungen. Denn die Insel gilt als Tor in die EU.
Kamen anfänglich vor allem Menschen aus den benachbarten Komoren, zu denen Mayotte ebenfalls gehört, deren Bewohner sich aber 1974 für die Unabhängigkeit von Frankreich ausgesprochen hatten, wagten zuletzt immer mehr Männer und Frauen vom afrikanischen Festland die gefährliche Überfahrt.
Der Grund liegt auf der Hand: Es erhält jeder und jede die französische Staatsbürgerschaft, der/die auf Mayotte geboren wurde – wenn mindestens ein Elternteil vor der Geburt nachweislich drei Monate lang dort gelebt hat. Zunächst wollte man diese Frist im Vorjahr auf neun Monate verlängern, um schwangeren Frauen den Anreiz zu nehmen, die Insel anzusteuern.
Heuer wurde in Paris zudem eine Verfassungsänderung lanciert, wonach dieses „Jus Soli“ dahingehend eingeschränkt werden solle, dass Kinder auf Mayotte nur dann die Staatsbürgerschaft erhalten, wenn auch die Eltern bereits Franzosen sind.
Auf dem Eiland, wo schätzungsweise bis zu 50 Prozent der Menschen keinen französischen Pass besitzen, habe die sozialen Spannungen durch diese illegale Migration massiv zugenommen. Die Ankommenden werden für die zunehmende (Branden-)Kriminalität verantwortlich gemacht.
Generell ist die Situation in Mayotte trist: 40 Prozent der insgesamt 300.000 bis 400.000 Einwohner müssen mit 160 Euro pro Monat oder noch weniger auskommen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 30 Prozent.
In diesem explosiven Gemisch schnitt die extreme Rechte des Rassemblement National (RN) bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2022 ganz stark ab: Mit 60 Prozent der Stimmen fuhr Marine Le Pen einen Riesenerfolg ein.
Nach der verheerende Naturkatastrophe, die die Verteilungskämpfe wohl noch verschärfen dürfte, droht eine weiter Zuspitzung der sozialen Verwerfungen. Es fehlt an allem. Speziell die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist eine Herausforderung. Experten befürchten die Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten.
Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung reiste am Montag der geschäftsführende französische Innenminister Bruno Retailleau aus dem 8.000 Kilometer entfernten Paris an. Auch an die 300 Soldaten beteiligen sich an der Suche nach Überlebenden unter den Trümmern.
Laut Aufzeichnungen war „Chido“ der schlimmste Wirbelsturm seit 90 Jahren.