Murad: Die Stimme der versklavten Jesidinnen
Von Susanne Bobek
Am 3. August 2014 endete für die Jesidin Nadia Murad das Leben, wie sie es bisher kannte. Truppen des IS überfielen ihr Dorf Kocho im Norden des Irak. Sie töteten die Älteren und verschleppten die Jüngeren. Kleine Buben wurden zu Soldaten ausgebildet, Mädchen und junge Frauen als Sex-Sklavinnen verkauft.
Nadia verlor an diesem Tag 44 Angehörige und musste drei Monate Vergewaltigungen, Demütigungen und Folter über sich ergehen lassen. Dann gelang ihr mithilfe einer Nachbarsfamilie die Flucht. Seit damals lebt sie in Baden-Württemberg.
Vier Jahre später ist die inzwischen 25-Jährige das Gesicht für das Leid der Jesiden, UN-Sonderbotschafterin und seit gestern Friedensnobelpreisträgerin 2018.
Der andere Preisträger, Denis Mukwege, 63, behandelt in seiner Heimat Kongo im Bürgerkrieg vergewaltigte Frauen. Seine gynäkologische Station in Lemera im Osten des Landes wurde 1996 zerstört. Der Arzt dokumentierte, dass seit dem Genozid in Ruanda 1994 Vergewaltigung und Verstümmelung von Frauen systematisch als Kriegswaffe eingesetzt wurden.
Als Menschenrechtler und führender Experte setzte er sich auf politischer Ebene jahrelang dafür ein, dass diese Verbrechen weltweit als das geächtet werden, was sie sind: Kriegsverbrechen (UNO-Resolution 2008).
George Clooneys Angst
Und jetzt kommt auch George Clooney irgendwie ins Spiel. Der Hollywood-Beau hatte nämlich eine Heidenangst, als seine Frau, die Menschenrechtsanwältin Amal, vor zwei Jahren die Vertretung von Nadia Murad vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag übernahm. Der IS hatte Nadia auch in Baden-Württemberg, wo sie heute lebt, mehrmals Drohungen zugestellt: „Wir kriegen Dich.“
„Verglichen mit dem, was Nadia bis heute immer noch durchmacht“, sei das Risiko für sie vergleichsweise gering, betonte Amal Clooney in einem Interview mit dem US-Sender NBC. Natürlich hätte sie sich vorher mit George abgesprochen: „Wir sind uns beide bewusst, dass dieser Fall mit Risiken verbunden ist.“
Kretschmanns Zug
Es war ein kluger Schachzug des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, für seinen Schützling Nadia Murad, die schillernde Staranwältin aus Beirut zu engagieren. Der Grüne Ministerpräsident setzt sich für ein Jesidinnen-Projekt ein, das der Psychologe Jan Ilhan Kizilhan leitet. Doch der sorgte sich erst einmal: „Wenn Nadia alleine ist, ist sie eine unscheinbare, schwache Frau.“ Doch die strahlende Amal Clooney managte sie professionell. Als UN-Sonderbotschafterin standen Nadia alle Türen offen. Das Leid der Jesiden wurde endlich Thema und Nadia eine Art Malala Yousafzai, die inzwischen 21-jährige Kinderrechtsaktivistin aus dem pakistanischen Swat-Tal, die für Mädchenschulen kämpfte und auf dem Schulweg in den Kopf geschossen wurde.
Nachdem bekannt geworden war, dass Nadia Murad den Nobelpreis erhalten würde, gratulierte Kretschmann umgehend: „Diese unglaublich starke, junge Frau machte uns allen deutlich, dass sie sich nicht als Opfer des sogenannten ,Islamischen Staates’ verstehen wollte, sondern als Überlebende mit Mut und Würde“, betonte er gestern. „Auch weiterhin werden wir Nadia Murad eine Heimat in unserem Land bieten, sie beschützen und in ihre Aufgaben als UN-Sonderbotschafterin unterstützen.“