Chronik/Welt

Deutschland führt umkämpfte Masern-Impfpflicht ein

Ab dem 1. März 2020 müssen Eltern vor der Aufnahme ihrer Kinder in Kindergärten und Schulen nachweisen, dass diese gegen Masern geimpft sind. Bei Verstößen können Strafen bis zu 2.500 Euro drohen. Für Kinder, die bereits im Kindergarten oder in der Schule sind, ist bis 31. Juli 2021 nachzuweisen, dass sie geimpft sind oder die Masern schon hatten. Die Impfpflicht gilt auch für das Kindergarten- und Schulpersonal, sowie für Bewohner und Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen und in Unterkünften für Asylwerber. 

Der Bundestag stimmte der  Vorlage des Bundesgesundheitsministeriums mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP zu. Etliche Abgeordnete der Linken und der Grünen enthielten sich, die AfD stimmte dagegen.

Hochansteckend

Masern sind hochansteckend und nicht harmlos.  Bei Kindern unter vier Jahren und Erwachsene über 20 Jahren verläuft die Krankheit häufig schwer, jeder zweite aus dieser Gruppe musste nach Erkrankung im Jahr 2018 stationär in ein Krankenhaus. Laut der Weltgesundheitsorganisation starben in der ersten Jahreshälfte 2018 37 Menschen an der Infektion. Todesfälle als Spätfolge nicht eingerechnet.  Deutschland hat die Impfquoten seit Jahren nicht erreicht. Aber nur wenn mindestens 95 Prozent der Bevölkerung gegen Masern immun sind, kann die Zirkulation der Erreger verhindert werden. Deshalb sagte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn „Masernschutz ist Kinderschutz.“ Denn  die Krankheit sei eine Qual für Kinder und Erwachsene. Das Gesetz solle die Schwächsten der Gesellschaft schützen. 

Kritik an dem geplanten Gesetz, etwa seitens der AfD, wies Spahn zurück. Die Impfpflicht sei eine Erfüllung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, sagte Spahn. „Wir haben auch die Pocken auf diesem Weg ausgerottet.“ 

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Mythen und Fakten

Geht es ums Masern, wird es auch schnell emotional. Argumente von Impfbefürworten treffen auf Äußerungen von Impfgegnern. Was stimmt und was stimmt nicht? Ein Faktencheck:

  • Masern muss man durchmachen, das stärkt auch den Körper. Diese Behauptung ist falsch. Masern sind keinesfalls harmlos. Ein Drittel bis zur Hälfte der Fälle, die bisher an das Robert Koch-Institut gemeldet wurden, mussten im Krankenhaus behandelt werden. Denn Masernviren unterdrücken die Immunabwehr, so dass andere Krankheitserreger zum Zug kommen und zum Beispiel eine Lungenentzündung verursachen können. Pro Jahr werden in Deutschland laut Gesundheitsberichterstattung durchschnittlich 4 bis 7 Todesfälle registriert, die auf eine Maserninfektion zurückzuführen sind. Vor Einführung der Impfung wurden in Deutschland um die 100 Todesfälle pro Jahr registriert.
  • Sein Kind impfen zu lassen, hilft der Gesellschaft. Diese Behauptung ist richtig. Der Gemeinschaftsschutz, die sogenannte Herdenimmunität, ist nach Angaben auf den Internetseiten des Robert Koch-Instituts (RKI) ein wichtiger Vorteil beim Impfen. Ein Mensch schütze auch mit einer Masernimpfung nicht nur sich selbst, sondern indirekt auch die anderen. Wenn ausreichend viele Menschen gegen Masern geimpft seien, könne sich der Erreger nicht mehr in der Bevölkerung verbreiten. Erst dann seien auch Säuglinge oder Schwangere geschützt, die zum Beispiel nicht gegen Masern geimpft werden können. Noch ist das nicht der Fall. Die Impflücken bei Masern sind nach Angaben des RKI weiterhin zu groß. Zwar haben nach den jüngsten Zahlen für 2017 rund 97 Prozent der Schulanfänger die erste Impfung bekommen. Aber bei der entscheidenden zweiten Masernimpfung wird auf Bundesebene die gewünschte Impfquote von 95 Prozent noch immer nicht erreicht. Sie liegt bei rund 93 Prozent. 2018 registrierte das RKI 543 Masernerkrankungen, im laufenden Jahr sind es bereits mehr als 300 Fälle. Fast die Hälfte der Erkrankten sind junge Erwachsene. „Das weist auf die großen Impflücken in diesen Altersgruppen hin“, betont RKI-Präsident Lothar Wieler.
  • Wenn man sich gegen Masern impfen lässt, kann man erst recht krank werden. Das ist selten, kann aber passieren. Eine Masern-Impfung enthält einen Lebendimpfstoff, der eine abgeschwächte Variante des Erregers enthält. „Dieser Erreger kann sich begrenzt vermehren“, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Infektionskrankheit selbst, die Masern, könne er aber nicht mehr auslösen. Bei der Impfung gegen die Masern gebe es jedoch eine Besonderheit. So zeigten etwa 5 bis 15 Prozent der Geimpften besonders nach der ersten Masern-Immunisierung eine Reaktion mit mäßigem Fieber, flüchtigem Ausschlag und Symptomen im Bereich der Atemwege, gelegentlich begleitet von einem maserntypischen Ausschlag. Meist passiere das in der zweiten Woche nach der Impfung. Diese Reaktion wird als „Impfmasern“ bezeichnet. Diese seien aber nicht ansteckend und verursachten nur milde Symptome, die von selbst abklingen, ergänzte Cichutek. Im Vergleich zu den Spätfolgen von echten Masern, die in seltenen Fällen auch zum Tod von Kindern führen können, seien die Impfmasern unangenehm, aber nicht gefährlich.
  • Eine Masern-Impfung kann Autismus verursachen. Das ist falsch. „Das Gerücht, insbesondere die Masernimpfung könne Autismus verursachen, geht auf eine Untersuchung an nur zwölf Kindern zurück“, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Die Studie eines britischen Arztes sei jedoch methodisch so fehlerhaft gewesen, dass das Fachmagazin „The Lancet“ die Veröffentlichung aus dem Jahr 1998 im Jahr 2011 zurückgezogen habe. Der Autor hat seine Zulassung als Arzt in Großbritannien verloren. Unter anderem, weil ihm Interessenkonflikte nachgewiesen worden seien. „Es gibt keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen und Autismus“, betonte Cichutek.
  • Wenn Frauen vor einer Schwangerschaft gegen Masern geimpft sind, schützt das auch ihr Baby. Das gilt mit Einschränkungen. Vor der Geburt werden schützende Antikörper von der Mutter auf das Kind übertragen. Neugeborene haben damit laut den Internetseiten des Robert Koch-Instituts gegen diese Erreger einen gewissen Schutz. Stillen unterstütze diesen Nestschutz. Bei Krankheiten wie Masern stimuliere die Impfung das Immunsystem der Mutter allerdings weniger stark als eine frühere natürliche Infektion.
  • Eine Masern-Impfung belastet das Immunsystem von kleinen Kindern viel zu stark, weil es noch nicht voll ausgereift ist. Das ist falsch. „Das Immunsystem von kleinen Kindern ist dafür ausgerüstet, sich mit Krankheitserregern auseinanderzusetzen“, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Das Immunsystem des Menschen entwickle sich durch Training. „Dieses Training sollte so früh wie möglich beginnen, und zwar mit einem ungefährlichen Trainingspartner“, ergänzt er. Im Fall der Masern sei der empfohlene Zeitpunkt ungefähr nach zwölf Monaten, in Ausnahmefällen auch schon nach neun Monaten. Echte Krankheitserreger seien ohne ein trainiertes Immunsystem sehr gefährlich, zum Teil lebensgefährlich.
  • Die Masern-Impfung kann auch vor bestimmten anderen Krankheiten oder Folgeerscheinungen schützen. Das ist richtig. Impfungen können nach den Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts nicht nur vor der Erkrankung selbst, sondern auch vor Komplikationen und Folgeerscheinungen schützen. Bei Masern werden Hirnhautentzündungen vermieden, die durch Masernviren ausgelöst werden. Oder Lungenentzündungen, die entstehen können, wenn Masernviren das Immunsystem für eine gewisse Zeit schwächen.
  • Eine Masernimpfung bietet keinen hundertprozentigen Schutz. Das ist richtig. Keine Impfung kann nach Angaben des Robert Koch-Instituts eine hundertprozentige Wirksamkeit garantieren. Die zweifache Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln verhindert jedoch bei 93 bis 99 Prozent der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung. Der kleine Piks führt bei erfolgreich Geimpften in der Regel zu lebenslanger Immunität. Dafür spricht auch, dass relevante Masernausbrüche unter Geimpften bisher nicht aufgetreten sind. Der überwiegende Anteil der Masernfälle in Deutschland betrifft Ungeimpfte und Menschen, die nur eine Masernimpfung erhielten.