Suche nach autistischem Bub wird eingestellt: "Das macht uns unendlich traurig"
Gut eine Woche nach dem Verschwinden des sechs Jahre alten Arian aus Bremervörde im Norden Niedersachsens stellen die Ermittler die aktive Suche ab Dienstag ein. "Wir werden ab morgen hier nicht mehr vor Ort sein", sagte ein Sprecher der Polizei am Montagabend. Eine Ermittlungsgruppe werde aber weiter an dem Fall dranbleiben. Seit dem 22. April hatten Hunderte Einsatzkräfte und Freiwillige nach dem autistischen Buben gesucht. "Wir hätten uns ein ganz anderes Ende gewünscht."
Zuvor hatten am Montag erneut mehrere Trupps der Bereitschaftspolizei die Region nach dem autistischen Jungen durchkämmt - ohne Erfolg. Arians Vater hatte das Verschwinden des Kindes am Montagabend vergangener Woche gemeldet. Eine Überwachungskamera zeichnete auf, wie der Junge danach in einen benachbarten Wald lief. Die Polizei hat nach eigenen Angaben keine Hinweise auf ein Verbrechen, ermittelt aber in alle Richtungen.
Die Polizei richtete am Montag eine neue Ermittlungsgruppe mit Experten für Vermisstenfälle ein, die weiter an dem Fall dranbleiben sollen. Ein fünfköpfiges Team in Zeven koordiniere nun das Vorgehen, hieß es weiter. Statt weiter in der Fläche zu suchen, werden die Einsatzkräfte künftig nur noch gezielt Hinweisen nachgehen. „Im Moment haben wir keine Anlässe mehr“, räumte der Sprecher ein.
Wettlauf gegen die Zeit
In den vergangenen Tagen suchten die Einsatzkräfte 5300 Hektar zu Land, zu Wasser und aus der Luft ab - das entspreche einer Fläche von mehr als 7500 Fußballfeldern. Täglich waren rund 800 Menschen auf der Suche, darunter auch viele Spezialkräfte mit Hunden, Pferden, Helikoptern, Drohnen, Tornado-Flieger, Amphibienfahrzeug, Booten und Tauchequipment. „Wir wollten alles Menschenmögliche tun, um Arian zu finden und ihn bestenfalls nach Hause bringen“, sagte der Polizeisprecher.
Noch am Montagnachmittag hatte die Polizei mitgeteilt: „Ziel der weitergeführten Maßnahmen ist und bleibt das Auffinden von Arian.“ Die Suche war ein Wettlauf gegen die Zeit, der Optimismus schwand. „Irgendwann setzt, glaube ich, bei vielen so ein Stück weit Realismus ein“, sagte der Sprecher am Nachmittag. „Und da darf man auch die Augen nicht verschließen.“
Am frühen Montagabend schließlich die Erkenntnis: „Wir waren fast dabei, zu versprechen, wir werden ihn finden, und das konnten wir nicht einhalten“, sagte der Polizeisprecher. Es sei der Moment gekommen, wo die Suche in der Fläche keinen Sinn mehr habe.
1,5 Kilometer lange Menschenkette
Die bisher größte Suchaktion am Wochenende, auf der so viele Hoffnungen ruhten, brachte keinen Durchbruch. Die Ermittler fanden nach eigenen Angaben zwar Fußspuren. Aber ob sie tatsächlich von Arian stammen, blieb unklar. Hunde konnten keine Fährte zu ihm aufnehmen, auch Taucher und Drohnen spürten den Sechsjährigen nicht auf. Mehr als 2000 Einsatzkräfte verschiedener Organisationen beteiligten sich am Wochenende bei der Suche in Bremervörde-Elm und im Umland. Der Heimatort des Jungen liegt im Landkreis Rotenburg (Wümme) zwischen Bremerhaven und Hamburg.
Am Samstag hatte sich die Suche erneut auf die Oste, einen Nebenfluss der Elbe, konzentriert. Einsatzkräfte fuhren mit sogenannten Sonarbooten auf dem Fluss. An Land liefen Helfer den Fluss zu Fuß ab. Weitere Einsatzkräfte durchkämmten das Gebiet zwischen Elm und der Gemeinde Oldendorf. Technisches Hilfswerk (THW) und Feuerwehr durchsuchten Gräben und darin befindliche Rohre.
Das Suchgebiet, das bisher auf das Umfeld von Elm konzentriert war, wurde am Sonntag ausgeweitet. Rund 1200 Menschen waren im Einsatz. „Wir haben gestern noch mal alles in die Waagschale geworfen“, versicherte der Polizeisprecher am Montag. Eine 1,5 Kilometer lange Menschenkette habe das Gebiet nördlich des Wohnorts durchkämmt und „jeden Stein umgedreht“. Die Suche dauerte bis zum Einbruch der Dunkelheit, rund 15 Quadratkilometer wurden abgegrast. Zusätzlich waren erneut Boote und erstmals auch eine Reiterstaffel unterwegs. „Und am Ende des Tages standen wir mit leeren Händen da. Und das macht uns unendlich traurig.“
Kinderlieder bei der Suche abgespielt
Die Einsatzkräfte bemühten sich tagelang, sich in den autistischen Jungen hinzuversetzen und die Suche auf seine Bedürfnisse abzustimmen. Sie hatten in Abstimmung mit der „Fachberatung Autismus“ versucht, den Jungen mit Kinderliedern, Luftballons und Feuerwerk anzulocken - ohne Erfolg. Seit der Nacht zum Samstag wurde still nach ihm gesucht, um ihn nicht zu verschrecken.
Einer Expertin zufolge könnte er als Autist nicht auf Rufe reagieren. Es könne sein, dass Arian anders als Altersgenossen keine Angst etwa vor dem dunklen Wald habe. „Vielleicht ist sein Autismus ja ein Vorteil, es macht auch was mit uns als Einsatzkräfte“, sagte der Polizeisprecher noch am Montagnachmittag. Der Junge könnte widerstandsfähiger sein als andere Kinder in seinem Alter. „Wir versuchen da positiv zu denken.“
Die Überlebenschancen seien von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich, betonte der Polizeisprecher am Montag. Es gebe vergleichbare Fälle von vermissten Kindern, die auch nach mehr als einer Woche lebend gefunden wurden. Ein Beispiel sei ein tagelang vermisster Achtjähriger aus Oldenburg. Vor zwei Jahren hatte sich das geistig behinderte Kind in einem Kanalsystem verirrt. Ein Spaziergänger hatte nach acht Tagen Suche ein leises Wimmern aus einem Kanaldeckel gehört - nur wenige Hundert Meter vom Elternhaus des Kindes entfernt. Der Junge wurde unverletzt gerettet.
Im Fall von Arian stehen die Ermittler weiter mit seiner Familie im Austausch und stimmen alle Maßnahmen mit ihnen ab, hieß es am Montag. Die Familie werde engmaschig durch die Notfallseelsorge, Polizei und Angehörige betreut.