Zugunglück: "Es besteht Vertuschungsgefahr"
Der Bruch des lebensrettenden Aufkletterschutzes beim tödlichen Zugunfall in der Steiermark wird nun zur zentralen Frage bei der Ursachenforschung. „Ja, wir untersuchen das“, bestätigt Peter Urbanek, der Leiter der Bundesuntersuchungsstelle. Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des KURIER-Berichts über das mögliche Sicherheitsproblem, wurde ein Mail mit Fragen an den Schweizer Hersteller Stadler abgeschickt.
Inzwischen ist die Zahl der Todesopfer auf zwei gestiegen. Nach dem 21-jährigen Lokführer starb auch eine 60-jährige Frau, die in einem der Züge saß und schwer verletzt wurde. Wie berichtet, prallten Mittwoch zwei Personenzüge der steirischen Landesbahnen in der Nähe von Übelbach zusammen: Die Strecke war eingleisig, einer der Lokführer hätte keine Streckenfreigabe gehabt, hieß es noch am selben Tag von der Geschäftsführung.
Sicherheitstechnik
Doch nun rückt auch die Sicherheitstechnik ins Blickfeld, unter anderem der Aufkletterschutz. Dies ist eine Art Gitter, das dazu führt, dass sich zwei Züge bei einem Zusammenstoß verkeilen – statt aufzusteigen und sich ineinander zu bohren. Dieser Teil muss laut geltender Norm einen Aufprall von 36 km/h überstehen und ein dahinter montierter Airbag platzen.
Dieser blieb bei zumindest einem Zug komplett. War bei dem Unfall das Tempo niedriger als 36, könnte der Hersteller oder der Betreiber haftbar gemacht werden. War die Geschwindigkeit höher, dann müsste das Gesetz angepasst werden. Laut Urbanek dürfte Anfang kommender Woche feststehen, mit welcher Geschwindigkeit es tatsächlich zu dem Zusammenstoß kam. Fest steht, dass an dieser Stelle 50 km/h erlaubt sind.
Kritik kommt von der Gewerkschaft. „Es darf nicht sein, dass der Fehler eines Einzelnen zu einer Katastrophe führt.“ Gewerkschafter Richard Hebenstreit sieht „massives Versagen“ in den Landesbahnen und fordert die Suspendierung der Geschäftsführung: „Es besteht Vertuschungsgefahr.“
Bilder vom Zugunglück in der Steiermark:
Evaluierung nötig
Hebenstreit, Fachbereichssprecher der Gewerkschaft vida, fragt sich, wo denn die Ergebnisse der sogenannten Gefahrenbetrachtung sind, die die Bahnen spätestens ab 2012 machen hätten müssen. Denn da wurde das Arbeitnehmerschutzgesetz verschärft: In Berufen, die wegen wiederkehrender gleicher Abläufe monoton werden können, müsste explizit nach Sicherungsmaßnahmen gesucht werden.
„Wenn das nicht evaluiert worden ist, dann ist das unpackbar. Aber davon können Sie ausgehen, sonst hätten Maßnahmen gesetzt werden müssen“, vermutet der Gewerkschafter. Etwa ein GPS-System, das Stand der Technik sei. „Sich hinzustellen und zu sagen, der Lokführer hätte warten müssen, das ist schlimm“, ärgert sich Hebenstreit. Er fordert die Landesregierung auf, die Geschäftsführung vorerst zu suspendieren.
Landesbahnen-Chef Helmut Wittmann war Freitag zu keiner Stellungnahme mehr bereit. Eine Mitarbeiterin ließ ausrichten, die „Ermittlungen würden laufen, die Behörden untersuchen“.
Menschliches Versagen. Nach dem schweren Zugunglück in der Steiermark wurde schon nach wenigen Stunden ein Grund genannt, warum ein 21-jähriger Lokführer getötet und acht weitere Personen verletzt wurden (mehr dazu hier). Recherchen des KURIER zeigen aber nun, dass es möglicherweise noch andere Ursachen gibt. Denn offenbar ist bei dem Zusammenprall der lebensrettende "Aufkletterschutz" abgebrochen. Wäre das nicht passiert, hätte der Triebfahrzeugführer den Crash auf der Übelbacher Bahn am Mittwoch möglicherweise überlebt.
Aufkletterschutz
Mit dieser Sicherheitsvorrichtung werden zwei Züge bei einem Zusammenstoß daran gehindert, "aufzusteigen" und sich ineinander zu bohren (siehe auch Bilder rechts). Auf zahlreichen Fotos von der Unfallstelle ist eindeutig zu sehen, dass zumindest zwei dieser Schutzvorrichtungen bei dem Aufprall abgebrochen sein dürften. Sie liegen neben den beiden demolierten Zügen. Damit entlud sich die Energie beim Zusammenstoß nicht auf zwei "Airbags" dahinter, sondern in das Cockpit des Lokführers, der an den Folgen des Unfalls starb.
Vermutungen über den gebrochenen Aufkletterschutz kursieren in verschiedenen deutschen und österreichischen Bahn-Fachforen. Den Unfall hätte auch ein perfekt funktionierender Aufstiegsschutz nicht verhindert, allerdings wäre er wohl weniger dramatisch abgelaufen.
Beim Schweizer Lok-Hersteller Stadler heißt es auf Anfrage, dass man "bisher nicht in die Untersuchungen involviert ist und daher keine Stellungnahme abgeben" könne. Die Züge entsprechen aber den neusten Normen, wird betont. Laut diesen muss der Schutz einen Aufprall von 36 km/h schadlos überstehen.
Bahn-Experten befürchten nach dem Unfall bereits, dass diese Vorschrift nicht ausreichend sein könnte. Noch unklar ist, wie hoch die Geschwindigkeit der Züge beim Zusammenstoß war. Insider schätzen, dass sie vermutlich unter 36 km/h gelegen haben könnte. In diesem Fall wäre Stadler in der Pflicht.
Bei der Staatsanwaltschaft Graz und im Verkehrsministerium, dessen Bundesanstalt für Verkehr den Unfall derzeit untersucht, hieß es am Donnerstag vorerst nur, dass derzeit "alles untersucht wird". Beide Züge wurden vorerst beschlagnahmt.
Am Donnerstag wurde auch die Aufzeichnung des Gespräches zwischen Fahrdienstleiter und Lokführern abgehört. Sie bestätige den ersten Verdacht auf menschliches Versagen, bedauert Helmut Wittmann, Geschäftsführer der Landesbahnen. Demnach hatte der ältere Kollege telefonisch die Streckenfreigabe für den Gegenzug bekommen, der 21-Jährige habe das bestätigt. "Das ist ganz eindeutig zu hören, es gab keine Verbindungsprobleme", versichert Wittmann. "Wieso er aber über den Haltepunkt hinausgefahren ist, ist uns allen ein Rätsel. Dafür gibt es keinen Hinweis."
Züge 2011 geliefert
Die beiden Lokführer dürften einander erst im letzten Moment gesehen haben, denn die Unfallstelle liegt in einer leichten Kurve. Ob es Probleme mit dem Aufkletterschutz gegeben habe, könne Wittmann nicht sagen. "Da ist der Sachverständige der Staatsanwaltschaft dran, da muss man auch mit dem Hersteller reden." Da beide Triebwagen erst Ende 2011 geliefert wurden, gehe er davon aus, dass sie "dem Stand der modernsten Technik entsprechen".
Die Gewerkschaft erhebt indes schwere Vorwürfe. Roman Hebenstreit, Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn, berichtet von "Hinweisen auf technische Probleme". Üblicherweise würden auf eingleisigen Strecken GPS-Systeme eingesetzt, das sei Stand der Technik. "Wenn sich herausstellt, dass diese beiden Fahrzeuge nicht damit ausgerüstet waren, wäre das dramatisch. Wenn man dann von menschlichem Versagen redet, ist das menschliches Versagen der Geschäftsleitung", sagt der Gewerkschafter.