Chronik/Österreich

Zeugenabsprachen bei Prozess um neun Schüsse

Der Prozess um die in ihrer Wohnung von einem Polizisten neun Mal angeschossene tobende Kerstin A., die nach dem Willen der Staatsanwältin in eine Anstalt eingewiesen werden soll, wird immer bizarrer. Glaubt man der Schilderung des Schützen, müsste ein Kollege von wuchtigen Messerstichen der 37-Jährigen getroffen worden sein und dürfte nicht mehr leben. Allerdings hat dieser Beamte nur eine Schnittwunde am Daumen.

7. März 2012: Nach einem Brandalarm stürmten fünf Polizisten die Wohnung, Kerstin A. hatte sich aus Angst vor Einbrechern im Badezimmer verschanzt, sprang aus der Dusche und fuchtelte „zur Abschreckung" (wie sie sagt) mit zwei Messern. Das „Fuchteln" kommt von einem Polizisten im Zeugenstand. Auch der Schütze, Polizist Z., sagt am Dienstag erstmals öffentlich aus und dreht auf: „Das Fuchteln kann man harmloser auslegen, als es gemeint war."

Die „Person", die er mit einem Schuss „mit akzeptabler Visierung in Körpermitte" und acht weiteren zu stoppen versucht habe, sei gezielt auf den Kollegen losgegangen. Sie habe „sofort angegriffen, von oben herab dezidiert zugestochen, rauf und runter" und sogar noch getrachtet, den bereits zu Boden gegangenen Kollegen „irgendwie zu erwischen". Das klingt nach Mordversuch.

Maßarbeit

Gerichtsmediziner Daniele Risser hat Zweifel. Die Treffer im Körper der beim Prozess im Rollstuhl sitzenden Kerstin A. lassen darauf schließen, dass sie die Hände mit den Messern weit unten und nicht zu Stichbewegungen erhoben gehabt habe. Außerdem leuchtet Risser nicht ein, wie die ebenfalls als Zeugen befragten Kollegen von Z. gesehen haben können, was sich im Badezimmer abgespielt hat. Immerhin stand Z. mit seinen vom Sachverständigen gleich im Gerichtssaal abgemessenen 42 cm Hüftbreite doch im Durchgang zur Küche, der bloß 40 cm schmal ist, und verdeckte die Sicht.

Die dennoch so ausführlichen Aussagen könnten damit zusammenhängen, dass ein Prozessbeobachter – offenbar ein Personalvertreter der Polizei – zwischendurch hinaus auf den Gang eilt und die Zeugen (allen voran den Schützen Z.) vor ihrem Auftritt genau instruiert, was drinnen abläuft. Man nennt das Zeugenabsprachen.

Dem Richter entgeht das. Aber dass Risser die Notwehr-Angaben der Beamten mit den Spuren nicht in Einklang bringen kann, missfällt ihm offenbar. Mitten in den Ausführungen des Gutachters vertagt er die Verhandlung und kündigt an, mit Risser nur noch schriftlich zu verkehren. Ob Polizist Z. auch einen Prozess bekommt (zwei Schüsse sollen Kerstin A. getroffen haben, als sie bereits auf dem Boden lag), wird immer noch von der Oberstaatsanwaltschaft geprüft.