Wiener Missbrauchsfall: Neue Details zu erster versandeter Anzeige
Im Zusammenhang mit einem Missbrauchsfall um einen Sportlehrer, der bis zu seinem Suizid im Mai 2019 an einer Wiener Mittelschule etliche unmündige Buben missbraucht haben soll, hat es schon 2013 eine erste Anzeige eines Betroffenen gegeben. Aus nun an die Öffentlichkeit gelangten, an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gerichteten internen Ermittlungsberichten wird klarer, weshalb diese Anzeige versandete. Hinweise auf einen Amtsmissbrauch finden sich darin weiter nicht.
Die Wiener Neustädter Anklagebehörde hatte im Vorjahr im Zusammenhang mit der in Verstoß geratenen Anzeige gegen zwei Polizeibeamte wegen Amtsmissbrauchs ermittelt. Das Verfahren wurde eingestellt, den verdächtigten Beamten war kein wissentlicher Befugnismissbrauch nachweisbar. Die Gründe für die Verfahrenseinstellung ergeben sich aus Berichten des mit den Erhebungen betrauten Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) vom Mai bzw. August 2023, die am Freitag medial die Runde machten. Zuerst hatte die "Kronen Zeitung" darüber berichtet.
Weiterer Missbrauch hätte vielleicht verhindert werden können
Ein ehemaliger Teilnehmer eines Sommer-Feriencamps am Wolfgangsee, wo der Wiener Lehrer mit Unterbrechungen zwischen 1990 bis 2010 während der Sommermonate außerschulisch als Ferien-Betreuer tätig war, war am 8. Juli 2013 zur Polizei gegangen und hatte in einer Dienststelle in Niederösterreich Anzeige gegen den Lehrer erstattet. Der Mann habe sich während einer Massage an ihm vergangen, schilderte der zu diesem Zeitpunkt bereits erwachsene Betroffene. Dessen ungeachtet wurde dieser Fall nie gerichtsanhängig. Der Lehrer, der neben dem Sportunterricht auch in einem Basketballverein tätig war, bekam damit Gelegenheit, weiterhin seinen Beruf auszuüben und in Kontakt mit ihm anvertrauten Buben zu bleiben.
Wie sich im Zuge der Erhebungen des BAK herausstellte, war die Erstanzeige im Sommer 2013 nicht direkt ins Protokollierungssystem der Polizei (PAD) eingegeben, sondern auf einem Formular festgehalten worden, das in weiterer Folge eingescannt und ausgedruckt wurde. Die Anzeige landete dann in einem veralteten Protokolliersystem, das an sich seit 2007 nicht in Betrieb war, und bekam dadurch eine Aktenzahl, die nach dem Ablauf von fünf Jahren - also 2018 - skartiert (vernichtet, Anm.) wurde. Wäre die Anzeige direkt ins PAD eingegeben worden, wäre sie nach zehn Jahren skartiert worden - also erst im Sommer 2023.
Insofern ließ sich der Aktenvorgang an der Dienststelle in Niederösterreich nicht mehr belegen, als die Staatsanwaltschaft im Vorjahr der Ursache für das Versanden der Anzeige nachging. Aus den nun an die Öffentlichkeit gelangten Unterlagen geht hervor, dass die Behörden mehrfach den Vornamen des Verdächtigen falsch protokolliert bzw. diesen überhaupt ein Mal mit dem Anzeiger verwechselt hatten, was aber mit dem Verschwinden der Anzeige in keinem Zusammenhang steht. Der Anzeiger dürfte laut BAK übrigens keine Kopie der von ihm eingebrachten Anzeige verlangt und daher kein Exemplar ausgefolgt bekommen haben.
Anzeige verloren gegangen
Fest steht, dass die in Niederösterreich aufgenommene Anzeige ins Tatort-Bundesland versendet werden sollte, dort aber nicht ankam. "Sie ist möglicherweise auf dem Postweg verloren gegangen", hatte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, Erich Habitzl, schon im September 2023 auf APA-Anfrage erläutert. Das machen - wenig verwunderlicherweise - die vorangegangen, jetzt publik gemachten BAK-Berichte deutlich. Demnach schließt eine Polizeibeamtin zwar nicht aus, dass sie den Akt in ein Kuvert gegeben, in der Poststelle abgegeben und mit einem Post-It "Bitte senden an..." versehen hat. Zugleich versichert die Beamtin, auch solche Kuverts wären immer verlässlich verschickt worden.
Für die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hatten sich am Ende bezüglich des Amtsmissbrauchsverdacht am Ende jedenfalls "keine Hinweise auf eine Dienstverfehlung" ergeben, wie Behördensprecher Habitzl im September 2023 der APA ausführlich erläuterte. Die Anzeige sei vermutlich in Oberösterreich "abhanden gekommen", wobei sich die näheren Umstände nicht mehr klären hätten lassen: "Das ist zehn Jahre her." Folglich wäre das Verfahren laut Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt selbst dann einzustellen gewesen, wenn sich Hinweise auf ein straffällig relevantes Fehlverhalten gefunden hätten: "Es wäre mittlerweile Verjährung eingetreten."