Chronik/Österreich

Wer ist gefährlicher: Hund oder Halter?

„So, und jetzt ableinen, kein Futter in der Hand – und los!“, sagt Georg Sticha und Hundebesitzerin Daniela Hinterdorfer lässt ihre Rottweilerhündin von der Leine. Die zweieinhalbjährige Kira wedelt aufgeregt mit dem Schwanz und weicht Hinterdorfer nicht von der Seite, als diese auf dem Trainingsplatz ihre Runden dreht. Georg Sticha nickt. Jetzt darf Kira doch ein Leckerli haben.

Vor 20 Jahren gründete Georg Sticha in Langenzersdorf bei Wien das erste Österreichische Therapiezentrum für Problemhunde. 200 bis 250 Mitglieder kommen pro Woche hierher, um ihre Hunde zu trainieren. Problemhunde seien sie nach den Trainings keine mehr. Erst unlängst wurde Sticha ein Mischlingshund vorgestellt, der ihm beim ersten Besuch an die Kehle wollte: „Und jetzt liebt er mich.“ Was er gemacht hat? „Ihm Vertrauen gegeben.“

Kira schmiegt sich indes freudig an den Hundetrainer, zeigt ihren Bauch, lässt sich kraulen. „Rottweiler sind extrem sanftmütig“, sagt er.

Trotzdem landet genau diese Hunderasse immer wieder mit negativen Meldungen in den Nachrichten. Der Hund, der vor wenigen Wochen einen einjährigen Bub in Wien-Donaustadt tödlich verletzte, war ebenfalls ein Rottweiler. Seine Besitzerin war zu dem Zeitpunkt des Vorfalls alkoholisiert.

Alle Inhalte anzeigen

Zwölfte Verschärfung

Die Stadt Wien nahm den Vorfall zum Anlass, ihr Tierhaltegesetz zum zwölften Mal zu novellieren. Wie berichtet, präsentierten Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl am Mittwoch die Details: Maulkorb- und Leinenpflicht für alle Listenhunde sowie ein Alkohollimit (0,5 Promille) für Besitzer dieser Vierbeiner.

Sie hätten sehr viel Zuspruch erhalten; vor allem Eltern würden die Maulkorbpflicht begrüßen, hieß es am Freitag aus Simas Büro.

Doch es kommt auch Kritik: „Anlassbezogene Verschlimmbesserung“, nennt etwa Madeleine Petrovic, Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins die Novelle. Und die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ sieht in den Maßnahmen den einfachen Weg von Sima und Pürstl, die Wähler zufriedenzustellen.

„Man stellt hier bestimmte Rassen unter Generalverdacht“, kritisiert auch Birgit U. Stetina, Vorständin der Psychologischen Universitätsambulanz. „Das ist so, als würde man alle Fußballfans bestrafen, nur weil es ein paar Hooligans gibt.“

„Ein Terrier kann bei falscher Haltung genauso beißen wie ein Listenhund“, ergänzt Alexandra Wischall-Wagner, Psychologin und Präsidentin der Vereinigung Österreichischer HundeverhaltenstrainerInnen.

Von den 412 Bissen, die die Stadt Wien von 2015 bis jetzt verzeichnete, waren 64 von Listenhunden, das sind 16 Prozent. Allerdings, ergänzt die Stadt, machen Listenhunde nur sechs Prozent aller Wiener Hunde aus.

Dass es aber auch mit Nicht-Listenhunde zu dramatischen Vorfällen kommen kann, zeigte sich vergangenen Sonntag. In Perchtoldsdorf, NÖ, biss ein Dackel ein zweijähriges Mädchen – sie wurde zwischenzeitlich in Tiefschlaf verletzt und wird noch im AKH behandelt.

Alle Inhalte anzeigen

Hund als Statussymbol

Trotzdem, hakt Klagenfurts Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz ein, die nach dem Vorfall in Wien ebenfalls über eine Maulkorbpflicht für bestimmte Rassen in ihrer Stadt nachdenkt: „Wenn Kampfhunde zubeißen, hat das meist dramatischere Ausmaße. Und, ja“, räumt sie ein, „das Problem ist nicht der Hund, sondern der Besitzer. Es gibt eben problematische Menschen, die sich so einen Hund als Statussymbol zulegen. Aber wie soll man das kontrollieren? Es braucht eine Maulkorbpflicht.“

Diese Argumentation kann Harald Zehetner, Vorsitzender des Österreichischen Rottweilerklubs, nicht nachvollziehen: „Hier muss der Hund für das Fehlverhalten des Menschen herhalten.“ Wenn Hunde von Beginn an böse sind, sei das die Schuld des Menschen, ergänzt Alexandra Wischall-Wagner: „Menschen sozialisieren manche Hunde seit Generationen schlecht“, sagt sie. „Und viele sind sich ihrer Verantwortung nicht bewusst.“

„Nur Verbote bringen auf Dauer nichts“, sagt Birgit U. Stetina. „Das hat nur eine ,Jetzt erst recht‘-Reaktion zur Folge. Es braucht Sensibilisierung. Die Bevölkerung muss sich mehr mit den Tieren auseinandersetzen.“

Prüfungen für alle

Hundetrainer Georg Sticha fordert deshalb eine verpflichtende theoretische Prüfung vor dem Hundekauf, eine verpflichtende Hundeausbildung und Überprüfungen alle zwei, drei Jahre.

Wissenstests vorab würde auch Harald Zehetner gutheißen. Im Zuge seiner Sachkundenachweis-Kurse für den Niederösterreichischen Hundeführschein werde ihm immer wieder bewusst, wie viel Aufklärungsarbeit notwendig ist: „Wenn ich frage, wie hoch die Körpertemperatur eines Hundes ist, zeigt maximal eine Person auf. Wie sollen sich die Besitzer gut um ihre Tiere kümmern können, wenn sie nicht wissen, was diese brauchen?“

Dass sich bei ausreichend Wissen und guter Erziehung Rottweiler und ein friedliches Familienleben nicht ausschließen, will Zehetner anhand seines eigenen Lebens aufzeigen: Er habe drei Kinder, immer Hunde – und nie Probleme. „Wir haben eine Grundregel: Im Haus muss sich der Hund alles gefallen lassen – aber er muss eine Rückzugsmöglichkeit haben. Schon im Krabbelalter haben die Kinder gelernt: Wenn der Hund in seiner Höhle ist, haben sie dort nichts verloren.“

Alle Inhalte anzeigen

Hunde und ihre Halter

Zwölfte Gesetzesnovelle Für Listenhunde gilt in Wien künftig eine Maulkorb- und Leinenpflicht, für Hundehalter eine 
0,5-Promille-Grenze. Die Zucht von Listenhunden wird untersagt. 

Wer ist ein Listenhund? Das sind Hunde, bei denen rassebedingt eine Gefährlichkeit vermutet wird. In Wien: Bullterrier, Staffordshire Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Mastino Napoletano, Mastin Espanol, Fila Brasileiro, Mastiff, Bullmastiff, Tosa Inu, Pitbullterrier, Rottweiler, Dogo Argentino.

Beißstatistik Von den 55.581 Wiener Hunden sind 3335 Listenhunde; das sind sechs Prozent. Sie sind laut Stadt Wien für 16 Prozent der Bisse verantwortlich. Der Bund erhebt nicht gesammelt, welche Hunderassen am häufigsten beißen. 
Die Statistik oben ist eine einmalige Erhebung der Kinderchirurgie Graz.