Chronik/Österreich

Wegweisungen sind massiv zurückgegangen - über die Gründe gehen die Meinungen auseinander

Auf den ersten Blick ist es eine erfreuliche Nachricht: Die Zahl der ausgesprochenen Betretungsverbote ist im Vorjahr deutlich zurückgegangen. Musste die Polizei im Jahr 2017 noch 8.414-mal derartige Wegweisungen aussprechen, war das im Vorjahr 1000-mal seltener der Fall. Ganz korrekt: Im Jahr 2018 erteilte die Polizei 7.407- mal ein Betretungsverbot. Besonders auffallend ist dieser Rückgang in Wien (siehe Grafik unten).

Ursachensuche

Grund, die Korken knallen zu lassen, sehen Opferschutzorganisationen dennoch nicht. Denn Gewalt in der Familie ist kein Thema, das sich von einem Jahr auf das andere so drastisch verringert. Das Innenministerium spricht von erfolgreicher Präventionsarbeit. Fragt man bei Opferschützern nach, erfährt man hinter vorgehaltener Hand einen anderen Grund: Das Thema habe im Innenministerium zuletzt nicht mehr so einen hohen Stellenwert gehabt, es betreffe hauptsächlich Migranten.

Zum anderen wurden im Frühjahr 2018 die sogenannten Fallkonferenzen bei Hochrisiko-Gewaltfällen von Seite des Innenministeriums eingestellt. Die soll es zwar künftig wieder geben, allerdings nur auf Bestreben der Polizei – was die Opferschutz-Organisationen durchaus irritiert.

Dass Gewalt in der Familie nachlasse, kann Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, nicht beobachten. „Die Polizei ist ein wichtiger Partner, die meisten Beamten sind gut geschult und sensibilisiert“, sagt sie.

Dennoch komme es vor, dass Opfer allein gelassen werden. „Wenn es zum Beispiel schon Wegweisungen gab und die Frau den gewalttätigen Partner dennoch wieder zurückgenommen hat.“ Und: Bei „bloßen Drohungen“ werde oft nicht einmal eine Anzeige entgegengenommen. „Frauen melden sich dann bei unserer Helpline. Wir versuchen dann, bei der Polizei zu intervenieren. Wenn das nichts bringt, können wir die Frauen nur noch in einem Frauenhaus unterbringen.“

Was bei den Betroffenen bleibt, ist ein Gefühl der Hilflosigkeit. „Werden sie einmal abgewiesen, verlieren sie das Vertrauen in die Polizei.“

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Opfer haben kein Recht auf eine Wegweisung. Das hielt vor Kurzem auch das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg in einem Beschluss fest: „Ein Gefährdeter hat kein subjektives Recht auf Verhängung eines Betretungsverbots.“

Hilfeschrei ins Leere

Anlass war ein Familienstreit im Ländle. Ein Mann fragte seinen Bruder – nennen wir ihn Herrn X. – nach 280 Euro, dieser lehnte aber ab. Daraufhin soll es laut geworden sein und Herr X. bekam Panik: „Ich wusste, dass ich erneut zu einem Hassobjekt für ihn geworden war und er aggressiv gegen mich vorgehen wird.“ Schon ein Jahr zuvor war es zu einem körperlichen Angriff gekommen. Außerdem wurde der Bruder erst wenige Monate zuvor wegen einer anderen vorsätzlichen schweren Körperverletzung (er hatte eine Frau mit einem Holzstück geschlagen) schuldig gesprochen. Es wurde eine (bedingte) Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ausgesprochen. Der Mann litt zudem unter psychischen Problemen, hatte immer wieder manische Phasen. Und nahm seine Medikamente nicht regelmäßig.

Herr X. ging also zur Polizei, informierte die Beamten und, so schildert er es, bekam eine Abfuhr. Man könne da nichts machen, hieß es.

Zwei Stunden später tauchte der Bruder wieder auf und attackierte Herrn X. Er rief den Notruf an. Zwei Stunden lang verbrachte der Bruder daraufhin in der Inspektion, wurde dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Es sei kein manischer Zustand feststellbar gewesen, erklärten die Beamten. Arzt wurde keiner beigezogen.

Am Folgetag kam es zu Sachbeschädigungen rund um das Haus. Herr X. ging also wieder zur Polizei und betonte nochmals, dass er sich gefährdet fühle und ein Betretungsverbot beantragen wolle. Das Ersuchen ging ins Leere.

Herr X. legte eine Beschwerde gegen die Polizei ein. Diese hätte ihn durch ein Betretungsverbot schützen müssen. Muss sie nicht, sagt das Gericht.