Von einer Zeit, als der Storch noch die Kinder brachte
Von Anja Kröll
Was wurde eigentlich aus dem guten, alten Storch? Bevor Sie nun laut aufschreien: Gemeint sind nicht die Weißstörche, die nun langsam aus ihren Winterquartieren zurückkehren. Da hat man sich schon gefreut. Weil so ein Storch ja ein sicherer Vorbote für den Frühling ist.
Nein, ich rede von den guten, alten Holzstörchen. Die als ebenso sicheres Zeichen für Nachwuchs gelten. Zumindest in den ländlichen Regionen. Wahlweise gibt es zum Holzstorch vor dem Haus noch eine Wäscheleine mit blauen oder rosaroten Babyutensilien, damit der Passant auch ganz sicher informiert ist: Ah, hier freut man sich nicht nur einfach über ein Kind, hier wird über ein Mädchen oder einen Buben gejubelt.
Aber Störche sind offenbar out. Weil die Jung-Mami und der Jung-Papi von Welt setzen heute auf „Gender-Reveal-Partys“.
Auf gut Deutsch: Geschlechtsenthüllungsparty. Da dürfen Sie nun laut aufschreien. Quasi Next-Level-Babyparty. Bekam man früher viele Strampler, komische Windeltorten und Babynahrung für das erste Jahr, gibt’s bei den Geschlechtsenthüllern des Jahres 2022 Luftballons, gefüllt mit rosa oder blauem Konfetti, die dann von den Bald-Eltern zerstochen werden, während alle anderen Anwesenden brav ihre Handys auf das Schauspiel halten, um wenige Sekunden später die gesamte digitale Welt am Geschlecht des Babys teilhaben zu lassen.
Bleibt die Frage, was nun eigentlich all jene Eltern machen, die das Geschlecht ihres Kindes vor der Geburt gar nicht wissen wollen? Oder die befinden, dass so ein Detail etwas ist, das nur Mami und Papi zu interessieren hat.
Aber die gehören wohl bald ins Reich der Legenden. Auf einer Ebene mit dem Storch, der die Kinder bringt.