Chronik/Österreich

Österreich könnte mehr für seine Kinder tun

In einem Bericht des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF zur Situation der Kinder in 29 untersuchten Industrienationen kommt Österreich insgesamt auf Platz 18. Für den Ländervergleich wurden fünf Faktoren untersucht, die Einfluss auf Wohlbefinden und Entwicklung von Kindern unter 18 Jahren haben, namentlich die Wohnsituation, der materielle Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit, die Risikobereitschaft sowie die Bildung. Während Österreich beim Wohlstand gut abschnitt, gab es in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit sowie Bildung schlechte Noten.

In Sachen Wohlstand landete Österreich auf Platz sieben, sogar vor der Schweiz (9.). Mittelfeldplätze gab es bei der Risikobereitschaft (17.) sowie bei der Wohn- und Umweltsituation (12.). Bei der Bildung wurde man dagegen lediglich 23., bei Gesundheit und Sicherheit schaute gar nur der 26. Rang unter den 29 analysierten Staaten heraus. Im Langzeitvergleich haben sich Österreichs schlechte Ergebnisse leicht verbessert: Bei den Vorgängerstudien 2001/2002 und 2009/2010 war man 18. bzw. 17. unter damals nur 21 Ländern gewesen. Sylvia Trsek von UNICEF Österreich räumt gegenüber dem KURIER ein, dass das Ergebnis "eher mittelmäßig" ist, aber "immerhin kommen wir von weiter unten. Österreich ist kontinuierlich besser geworden, wenn auch in kleinen Schritten."

Pisa-Loch und Impfungsmanko, dafür viel Sport

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Dass die heimischen Schüler beimPISA-Test mäßig abschneiden und dasösterreichische Bildungssystem zu undurchlässigist, ist bekannt. Überraschender ist da schon der drittletzte Platz im Gesundheits-Ranking. Hier schlägt vor allem die schlechte Impfrate durch: Nur 81 Prozent der Ein- bis Zweijährigen sind gegen Masern, Kinderlähmung sowie Diphterie, Tetanus und Keuchhusten immunisiert. Österreich ist damit überhaupt das Schlusslicht aller 34 OECD-Staaten – in den meisten liegt die Impfrate jenseits der 90 Prozent. Österreich hinke hier traditionell nach, erklärt Trsek, obwohl seitens der Behörden durchaus viel getan werde: "Man wird sich überlegen müssen, was man darüber hinaus unternehmen kann. Die Durchimpfung ist wichtig, da die Mobilität der Menschen ständig zunimmt. Wir leben ja quasi in einer immer kleineren Welt."

Einige Auszüge aus dem Segment „Lebensweise und Risiken“: In der Gruppe der 11- bis 15-Jährigen gaben 8 Prozent an, mindestens einmal pro Woche Zigaretten zu rauchen (Österreich: 12 Prozent). 15 Prozent erinnerten sich, mindestens zweimal in ihrem Leben betrunken gewesen zu sein (Ö: 15 Prozent); 99 Prozent der Mädchen werden nicht im Teenager-Alter schwanger; und zwei Drittel sind keine Opfer von Bullying oder in Schlägereien involviert (Ö: je 60 Prozent). Die USA und Irland sind die einzigen Länder, wo mehr als 25 Prozent der Kinder angeben, mindestens eine Stunde am Tag körperlich aktiv zu sein, Österreich erreicht hier den unerwartet guten dritten Platz. "Das hat uns erstaunt", sagt Trsek und meldet leise Zweifel an den Angaben der Kinder an. Die UNICEF stehe jedenfalls hinter der Forderung nach einer täglichen Turnstunde: "Das kann in keinem Fall schaden."

Den besten Einzelwert erzielt Österreich im Segment Kriminalität: Nur in Island werden weniger Unter-19-Jährige Opfer von Tötungsdelikten. Die USA belegen in dieser Statistik den drittletzten Platz. Aus der Befragung der Kinder selbst, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind, resultiert für Österreich ein Platz im Mittelfeld (16.). Deutschland nimmt hier nur den 22. Rang ein, Schlusslicht ist Rumänien.

Krise bedroht Fortschritte

Bei der Präsentation der Studie am Dienstag in Genf hob UNICEF-Vertreter Chris de Neubourg zuerst die erheblichen Verbesserungen hervor, die in den vergangenen zehn Jahren hinsichtlich Wohlbefinden der Kinder erzielt worden seien. In jedem Land, für das Daten verfügbar waren, kam es zu einer Senkung der Säuglingssterblichkeit und zu einer Verbesserung des Familienwohlstandes. Aber: „Die Auswirkungen der Krise in Europa machen uns zu schaffen. Die Schuldenreduktion darf nicht auf Kosten von Investitionen für die Jugend erfolgen“, mahnte de Neubourg. Denn das gefährde die wirtschaftliche Zukunft eines Landes. „Wenn wir Sparmaßnahmen ergreifen, müssen wir darauf achten, dass die Kinder möglichst von ihnen verschont bleiben“, plädierte er.

Die vordere Platzierung beim Wohlstand freut Trsek: "Es ist gut, dass eine materielle Basis da ist. Trotzdem ist jedes Kind in der Armutsfalle eines zuviel." Das größte Problem der Kinderarmut sei, dass die betroffenen Kinder die Konsequenzen dieser Ungleichheit ein Leben lang spürten, schreibt die UNICEF in ihrem Bericht. Mangelnde finanzielle Mittel beeinflussten nicht nur das Entwicklungspotenzial, sondern auch die Sozialisation und die Bildungsmöglichkeiten des Kindes. Gleichzeitig zeige die Untersuchung, dass Kinderarmut nicht unvermeidbar sei, sondern „maßgeblich von politischen Entscheidungen beeinflusst“ werde. Die Autoren weisen darauf hin, dass das Bruttosozialprodukt eines Landes wenig über die Kinderarmut aussagt. „In einem reichen Land ist die Lage der Kinder nicht automatisch besser als in einem ärmeren.“ So sind etwa im krisengeschüttelten Portugal relativ gesehen weniger Kinder von Armut betroffen als in den USA.

Nordeuropäer an der Spitze, Italien stürzt ab, USA schwach

Österreichs Nachbarn weisen in der Gesamtwertung der Studie unterschiedliche Ergebnisse auf: Während Deutschland (6.), die Schweiz (8.), Slowenien (12.) und Tschechien (14.) besser abschnitten als Österreich, platzierten sich Ungarn (20.), Italien (22., früher 14.) und die Slowakei (24.) weiter hinten. Als Testsieger gingen die Niederlande aus dem Ländervergleich hervor, gefolgt von Norwegen, Island und Finnland. Die hintersten Ränge gehen an die USA (26.), Litauen, Lettland und Rumänien.

Der UNICEF-Report stützt sich auf Statistiken (zB. WHO-Daten von 2010) und die Befragung von insgesamt 176.000 11- bis 15-Jährigen, die in Österreich vom Ludwig-Boltzmann-Institut durchgeführt wurde. Trsek gibt zu bedenken, dass hier "29 sehr unterschiedliche Länder verglichen werden, und die Daten nicht immer sicher vergleichbar sind. Außerdem entscheiden bei dieser Art von Ranking teilweise Zehntelprozentpunkte. Wichtig ist aber, dass auch die Kinder selbst befragt wurden. Kinder und Jugendliche müssen angehört und miteinbezogen werden. Wir wünschen uns eine weitere Verstärkung der Kinderrechte." Die Teilhabe könne etwa auf der kommunalen Ebene beginnen, immerhin liege dort das Wahlalter bei 16.