Wider die Vernunft in den Lawinentod
Von Christian Willim
Wie jedes Jahr war es ein Trio, das am Dienstag die alpine Unfallstatistik des Winters in Innsbruck präsentierte. Karl Gabl vom Kuratorium für alpine Sicherheit und Tirols Bergrettungschef Peter Veider waren sich mit Norbert Zobl von der Alpinpolizei Tirol einig, der in Bezug auf Lawinenunfälle meinte: "Die Verhältnisse bestimmen, ob es kracht oder nicht." Es habe sich wieder gezeigt, dass sich Wintersportler "trotz eindringlichster Warnungen" auf der Suche nach dem unverspurten Hang in größte Gefahr begeben.
Als Beleg diente den Experten unter anderem ein Wochenende Anfang März, bei dem schönes Wetter auf zuvor gefallenen Neuschnee folgte. Bei Lawinenwarnstufe 3 ("erhebliche Gefahr") wurden laut Zobl alleine in Tirol rund 30 Lawinenunfälle gezählt. "Alle Warnungen verpuffen. Wenn sich das Verhalten der Leute nicht ändert, können wir machen, was wir wollen", gibt sich Bergretter Veider keinen Illusionen hin.
25 Menschen starben in der bisherigen Saison österreichweit bei Lawinenabgängen. Im Vergleichszeitraum des vorigen Winters waren weniger als halb so viele Todesopfer (11) zu beklagen, was jedoch mit dem günstigeren Schneedeckenaufbau in der Vorsaison zu erklären sei. Der Schnitt der vergangenen zehn Jahre liegt bei 16 Toten. Einen Trend zu mehr Opfern gibt es nicht. Für Zobl hat sich heuer viel mehr eine alte Regel bestätigt: Weniger Schnee bedeutet viele Lawinenunfälle und Lawinentote.
Ohne Ausrüstung
Zwei Drittel der bisherigen Todesopfer sind Tourengeher, ein Drittel Variantenfahrer, die sich von der Piste in den Tiefschnee wagen. Bei letzteren sieht Veider angesichts des Werbens von Skigebieten um Freerider einiges auf die Bergretter zukommen: "Es gibt genügend Skilifte, die nur dafür gebaut werden." Speziell bei ausländischen Variantenfahrern hat sich heuer gezeigt, dass sie oft ohne Lawinenausrüstung unterwegs sind. Erst vor wenigen Tagen versuchte ein 62-jähriger Deutscher in Osttirol vergeblich, seinen Sohn (26) aus einer Lawine zu befreien. Er hatte keine Schaufel. Für den Verschütteten kam jede Hilfe zu spät.
Chancenlos waren auch die beiden jungen Mitglieder des US-Skiteams (18 und 19 Jahre), die Anfang des Jahres in Sölden unter einer massiven Lawine geraten waren. Sie fuhren trotz Warnstufe 3 in einen Tiefschneehang abseits der Piste ein. Die beiden Amerikaner hatten keinen Lawinenpieps bei sich und konnten nicht mehr rechtzeitig geborgen werden.Veider weiß inzwischen aus Erfahrung, dass sich Variantenfahrer weder von Verbotstafeln noch von Absperrungen von der Fahrt abseits der Piste abschrecken lassen: "Wenn eine Spur reingeht, ist der Hang für alle geöffnet." Jeder will dabei seine eigene Spur ziehen. Die Experten beobachten, dass sich die Abfahrten dann oft in immer gefährlicheres Gebiet verlagern – wider jede Vernunft. Bei ausländischen Gästen sieht Veider zumindest noch ein gewisses Warnpotenzial, das sich ausschöpfen ließe. "Der Tourismus müsste versuchen, flächendeckend bei der Morgenpost im Hotel die Informationen in verschiedenen Sprachen an die Leute zu bringen." Warnungen in heimischen Medien würden Touristen nämlich kaum erreichen.
Positiv ist, wie zuletzt berichtet, der Trend bei den Pistenunfällen. Deren Zahl ist wie auch jene der Toten im organisierten Skiraum im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel zurückgegangen. Der Präsident des Kuratoriums für alpine Sicherheit, Karl Gabl, sieht darin die Fortsetzung eines Trends, die er vor allem auf zwei Gründe zurückführt: "Die Präparierung der Pisten ist besser geworden. Der Schnee ist griffiger. Und damit ist es leichter zu fahren." Aber auch das Bewusstsein der Leute dürfte sich positiv verändert haben, vermutet Gabl.