Chronik/Österreich

Justiz macht Opfer zum Angeklagten

Dass sich ein Staatsanwalt nach dem Prozess beim Angeklagten für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, kommt so gut wie nie vor. Für den Freigesprochenen immerhin ein Trostpflaster.

Andreas Scherer aus Graz begann seine Liaison mit der Justiz als Opfer eines Verkehrsunfalles. Ein BMW-Fahrer war hinten in seinen Mercedes gekracht. Scherer klagte seinen Schaden ein, 4000 Euro. Ein Gerichtssachverständiger machte einen Blick auf den verbeulten Mercedes, unterließ eine Stellprobe und andere Vergleichsuntersuchungen mit dem BMW und erklärte in seinem Gutachten: Der behauptete Schaden könne nicht vom Zusammenprall stammen, es müssten Vorschäden von einem anderen Verkehrsunfall vorhanden gewesen sein.

Scherer machte umgehend seine Freundin und seine Eltern als Zeugen namhaft, die belegen könnten, dass der Wagen vor dem Auffahrunfall vollkommen unbeschädigt war. Aber sein Anwalt verzichtete darauf, sie als Zeugen zu beantragen. Die Zivilrichterin äußerte den Verdacht, Scherer habe Versicherungsbetrug begehen wollen und wies die Klage ab. Weil der Kläger sofort Berufung einlegte, zeigte sie ihn auch noch bei der Staatsanwaltschaft wegen versuchten Betruges an. Später begründete sie das damit, die Berufungsanmeldung als „frech“ empfunden zu haben.

So wurde aus dem Opfer ein mutmaßlicher Täter, aus dem erfolglosen Kläger ein Angeklagter.

Sechs Jahre

Nun begann ein sechs Jahre dauernder Kampf um Rehabilitierung und (teilweisen) Schadenersatz, „in dem wir sechs Gutachter und vier Anwälte verschlissen haben“, wie Scherers Mutter dem KURIER erzählt. Insgesamt liefen für die Familie 50.000 Euro an Kosten auf. Mehrere andere Sachverständige stellen fest, dass der Mercedes keine Vorschäden hatte. Der erste Gutachter, der schlampig gearbeitet hatte, ist laut Annemarie Scherer „der Platzhirsch bei uns“. Er habe eine Art Monopolstellung, und die Richter würden ihm blind vertrauen. Das ist übrigens nicht nur in Graz so.

Bedenklich

Andreas Scherer wurde jedenfalls freigesprochen. Und wagte nun erneut die Fronten zu wechseln: Er klagte mithilfe seines neuen Anwalts Wolfgang Poleschinski seinen ersten Anwalt (der Name ist der Redaktion bekannt), der ihm den Strafprozess eingebrockt hatte, weil er im Zivilprozess die Freundin und die Eltern nicht als Zeugen beantragt hatte. Transportfahrer Scherer gewann diesen Prozess, der Anwalt wurde zum Ersatz der Verfahrenskosten seines Ex-Klienten von 8000 Euro verurteilt. Allerdings musste Scherer durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof gehen.

Dieser schrieb der ersten Richterin ins Stammbuch, ihre Vorgangsweise sei (ebenso wie jene des Anwalts) „bedenklich“. Eine pflichtgemäß handelnde Richterin hätte von sich aus das Gutachten hinterfragt, die Zeugen vernommen und dem Kläger nicht gleich eine Strafanzeige angehängt.

Im Garten

Der verbeulte Mercedes steht übrigens noch heute im Garten der Familie Scherer in Graz. „Zu Beweiszwecken, man weiß ja nie, was noch kommt“, sagt Mutter Annemarie.