Reaktionen auf Lockdown-Gipfel: "Nicht nachvollziehbar" und "Fleckerlteppich"
Das Positive zuerst: Die Kultur freut sich. Denn mit dem Lockdown-Ende am Wochenende kann sie auch wieder loslegen: Die von der Bundesregierung verkündeten Öffnungsschritte ermöglichen Indoor-Veranstaltungen mit bis zu 2.000 Personen bei 2G und FFP2-Pflicht, wenn es zugewiesene Sitzplätze gibt. Bei Outdoor-Veranstaltungen ist die Obergrenze 4.000 Besucher. Ohne Sitzplätze liegt die Grenze indoor bei 25 Personen. Auch für Museen und Ausstellungshäuser gelten 2G und FFP2.
"Kultursektor ist nicht der Pandemietreiber"
"Ich glaube, dass wir für die Kultur sehr gut verhandelt haben und dass es inzwischen auch sehr viel Vertrauen gibt in die Kulturbetriebe, wie sie auf die Pandemie reagieren und alle Vorgaben durchführen und kontrollieren", sagte Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) am Mittwoch der APA. "Dem wurde mit einem breiten Öffnungsschritt Rechnung getragen." Die neuen bundeseinheitlichen Regelungen beträfen die Kulturbetriebe in einer "Fast-Gesamtheit und einer Kapazität, die sich sehen lassen kann". Weiter schwierig ist die Lage nur bei Kulturveranstaltungen ohne zugewiesenen Sitzplätzen, hier sind indoor maximal 25 Personen, outdoor wie bei der Gastro maximal 300 Personen erlaubt.
Quasi durch die Bank positiv wurden die Öffnungsschritte in der Kulturszene bewertet. "Die Kultureinrichtungen sind mit Sicherheit von allen Orten, an denen viele Menschen zusammenkommen, die sichersten. Der Kultursektor ist nicht der Pandemietreiber", unterstrich Konzerthaus-Direktor Matthias Naske. Ähnlich äußerte sich sein Kollege Stephan Pauly, Intendant des Wiener Musikvereins: "Ich bin sehr erleichtert, dass die Regierung dem Vorschlag der Kultur gefolgt ist, zusätzlich zum 2G-Nachweis nur das Tragen einer Maske vorzuschreiben." In seinem Haus stehen ab Montag bis zum Jahreswechsel mehr als 30 Konzerte am Programm.
Vorsichtige Zuversicht
Im Belvedere freut man sich, ab Sonntag wieder Besucher begrüßen zu können, gleichzeitig gab sich Generaldirektorin Stella Rollig vorsichtig. "Der Winter dauert ja noch eine Weile, und wir kehren jetzt zu Maßnahmen zurück, die wir bereits hatten. Ich persönlich hoffe daher sehr, dass die Menschen in ihrer individuellen Lebensgestaltung mehr Vorsicht walten lassen - sonst könnten wir vor Ende des Winters noch einen Lockdown haben."
Christian Dörfler, Betreiber des Wiener Haydn-Kinos und Fachverbandsobmann für Kino-, Kultur- und Vergnügungsbetriebe in der Wirtschaftskammer, zeigte sich kritisch. Vor allem für den Tourismus seien die Vorgaben ein schwerer Schlag, wenn etwa in Wien Hotellerie und Gastronomie nicht sofort aufsperren können. "Für mich als Kino- und Kulturbetrieb ist das jetzt nicht das große Problem, aber ich glaube, dass das nicht die beste Entscheidung war. Da hängt irrsinnig viel Wertschöpfung für das ganze Land dran."
Unterschiede bei Bundesländern
Es gibt aber auch Unterschiede, wenn man von Bundesland zu Bundesland blickt. "Wir haben unter allen Umständen immer sofort versucht aufzusperren", sagte Peter Assmann, Direktor der Tiroler Landesmuseen, so werde man es auch nach Ende des aktuellen Lockdowns halten. Ungeachtet des Usus der Montagsruhe will er alle Häuser bereits am kommenden Montag öffnen. "Wir verstehen uns als regionaler Kulturdienstleister - ein Museum ist ein sehr sicherer Ort, in der Pandemie auch anregender, ein Hoffnungsort." Auch in Salzburg, der Steiermark, Vorarlberg und Niederösterreich hebt das Kulturleben wieder ab.
Im Burgenland und Kärnten will man unterdessen erst die regionalen Vorgaben abwarten, seien jene des Bundes doch die "Mindeststandards". Und in Oberösterreich geht der Lockdown unterdessen ohnehin bis zum 17. Dezember weiter. Was danach passiert und wie der weitere Öffnungsfahrplan konkret aussieht, werde in den kommenden Tagen fixiert.
Kritik der Opposition
Teils harsche Kritik an den Teil-Öffnungen kam von der Opposition. Während die SPÖ ein "planlose Dahinstolpern" und den Länder-"Fleckerlteppich" kritisierte, sprachen die NEOS von einem "nicht nachvollziehbares Weiterwurschteln wie bisher". Seitens der FPÖ kritisierte der Wiener Parteiobmann Dominik Nepp vor allem den strengen Kurs von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).
SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher sprach in einer Aussendung von einer "Fortsetzung der Absurdität": Es fehle ein zentrales Krisenmanagement samt nachvollziehbarer Gesamtstrategien. Der Abgeordnete verwies darauf, dass in der westliche Bundesländer wie in Tirol trotz deutlich schlechteren Corona-Zahlen - "von der Inzidenz bis hin zur Auslastung der Spitalskapazitäten" - weniger strenge Regeln gelten werden als in der "Vorzeigeregion" Wien. "Das versteht doch wirklich niemand." Er forderte ein nachvollziehbares Vorgehen anhand einheitlicher Kriterien für ganz Österreich ein.
Ähnlich argumentierte der stellvertretende NEOS-Klubobmann Gerald Loacker: "Wer soll denn verstehen, dass die Bundesländer mit den schlechtesten Zahlen am meisten und am schnellsten öffnen, und dort, wo man im Sommer vorausschauend und richtig gehandelt hat und deshalb jetzt am besten da steht, am längsten zugesperrt bleibt?"
Der Wiener FPÖ-Chef Nepp zeigte vor allem für den Kurs von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) "null Verständnis". Und: "Mit diesem restriktiven Kurs der Wirtschafts- und Unternehmerfeindlichkeit verpasst Ludwig einen weiteren Schlag in die Magengrube aller Wiener Gastronomen und Hotelleriebetreiber", so Nepp, der eine sofortige Öffnung aller Branchen in Wien forderte.
Enttäuschung in der Wirtschaft
Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter zeigten sich von den angekündigten Teil-Öffnungen enttäuscht. Dass die Hotels nach 20 Tagen in einigen Bundesländern wieder öffnen dürfen, wird von der Branche grundsätzlich mit Erleichterung aufgenommen. "Freude darüber zu empfinden, ginge aber zu weit", sagt ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer, "zu viele Hotels in zu vielen Regionen sind noch im Lockdown". Dass der Lockdown in Wien verlängert wurde, kritisierte die Hotellerie-Chefin als "grundlos". Volle Unterstützung gibt es von Reitterer für die Sicherheitsmaßnahmen mit 2G und FFP2-Pflicht. Sie bekräftigte ihre Forderung nach einer Verlängerung der 5-prozentigen Umsatzsteuer.
Susanne Kraus-Winkler und Mario Pulker, Obleute der WKÖ-Fachverbände Hotellerie und Gastronomie zeigten sich "verständnislos über die heute verkündeten, sehr unterschiedlichen Öffnungsszenarien". Der Lockdown für Ungeimpfte bleibe bestehen. "Damit reduziert sich der wöchentliche Umsatzverlust des Handels von 900 Millionen auf 350 Millionen Euro pro Woche - immer noch eine immens hohe Summe", die den Händlern letztendlich nicht nur Liquiditätsengpässe beschere und ihre wirtschaftliche Existenz gefährde.
Vereinheitlichung gefordert
Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes, verwies darauf, dass "ein unaufgeregtes Einkaufen mit FFP2-Maske ohne Ansteckungsgefahr absolut möglich" sei. Da der Non-Food-Handel bei einem Lockdown für Ungeimpfte bis zu 30 Prozent seiner Umsätze verliere, seien die heimischen Handelsbetriebe auch nach Ende des Lockdowns am 12.12. auf staatliche Corona-Hilfspakete angewiesen.
Auch für die Wirtschaftskammer-Spitze ist "das Abweichen einiger Bundesländer mit der gewählten Differenzierung zwischen einzelnen Branchen nicht nachvollziehbar". WKÖ-Präsident Harald Mahrer forderte von den Bundesländern, "dass es rasch zu einer Vereinheitlichung der Maßnahmen kommt, weil nur mit klaren und praktikablen Maßnahmen die Pandemie gemeinsam bekämpft werden kann".
"Perspektivenlosigkeit"
In der Club- und Discoszene herrscht "nach wie vor Perspektivenlosigkeit", beklagte Nachtgastronomiesprecher Stefan Ratzenberger bereits am Dienstag. Nun gehe es endlich darum, "eine Ansage" zu bekommen - etwa wonach man einhergehend mit der Umsetzung der Impfpflicht wieder öffnen darf, forderte er im Gespräch mit der APA. "Wir brauchen Planungssicherheit", so Ratzenberger, der daran erinnerte, dass die Nachtlokale bald - mit einer nur kurzen Unterbrechung - seit zwei Jahren geschlossen haben. Auch er forderte weitergehende staatliche Hilfen. Man rechne damit, schlussendlich mit 2G-plus wieder öffnen zu dürfen. Nur wann - das ist offen.
Enttäuscht zeigt sich auch Reisebüros-Obmann Gregor Kadanka über die heutigen Ankündigungen. "Wir haben den Zusagen der Politik und auf die Öffnung vertraut, alles gegeben, damit wir Buchungen generieren und Gäste nach Österreich bringen können, und nun soll wieder alles umsonst gewesen sein. Das ist völlig unverständlich und bringt unsere (Incoming-)Betriebe an den Rand der Belastbarkeit."