Stiwoll: Die obskure Popularität des Herrn F.
Vor 82 Tagen erschoss
Friedrich Felzmann zwei Nachbarn. Dann tauchte der 66-Jährige unter.
Und jetzt?
„Es gehen keine konkreten Hinweise auf seinen Verbleib mehr ein“, muss ein Sprecher der wegen des Doppelmordes von Stiwoll eingerichteten Sonderkommission eingestehen. „Auch die allgemeinen Hinweise werden weniger.“ Eine zurückhaltende, aber deutliche Umschreibung eines Faktums: Die Polizei hat mehr als elf Wochen nach der Tat trotz Zielfahndung, Suchhunden, Drohnen und Wärmebildkameras keine Ahnung, wo sich der Verdächtige aufhalten könnte.
An zu geringer Bekanntheit des Hobbyimkers dürfte es kaum liegen. Nach dem 66-Jährigen wird europaweit gefahndet. Er steht seit Anfang Dezember auf wenig rühmlichen Listen: Felzmann ist (neben Tibor Foco) nicht nur Österreichs meistgesuchter Flüchtiger, sondern gehört auch zu „Europe’s most wanted fugitives“. Er ist somit einer jener 59 europaweit gesuchten mutmaßlichen Verbrecher, die die Polizei am dringendsten fassen will.
Tausende Klicks
Schwer zu fassen ist auch die obskure Popularität, die Felzmanns alte, selbstgedrehte Videos haben, die nach wie vor im Internet abrufbar sind und nun auch von anderen Nutzern verbreitet werden: Fast 12.000-mal wurde das 30-sekündiges Filmchen über „Behördenkorruption“ auf YouTube angeklickt, rund 7400-mal jenes Video, auf dem er mit „Heil Hitler“-Schild am Kastenwagen zu sehen ist. Jener Kastenwagen übrigens, der nach dem mutmaßlichen Doppelmord am 29. Oktober als Fluchtauto diente und einen Tag danach versperrt im Wald gefunden wurde. Das war der bisher einzig handfeste Hinweis auf Felzmann. Die übrigen rund 300 Tipps sowie die Überprüfungen sämtlicher ungeklärter Einbruchsdiebstähle in der Steiermark auf DNA-Spuren brachten nichts.
Damit bekommt eine Theorie Nährstoff: Felzmann könnte längst tot sein. „Mit Fortgang der verstrichenen Zeit steigt diese Wahrscheinlichkeit“, heißt es seitens der Polizei vorsichtig. Am ehesten möglich gilt ein Unfall, einen Suizid halten Analytiker bei Felzmanns Persönlichkeit eher für ausgeschlossen.
Ungeklärte Mordfälle
Friedrich Felzmann ist freilich nicht der einzige Mordverdächtige, nach dem die Polizei vergeblich fahndet. Vor große Herausforderungen werden die Ermittler auch bei ungeklärten Mordfällen gestellt – mit der alles entscheidenden Frage: Wer könnte der Täter gewesen sein?
Einer der ersten Ermittlungsansätze ist dabei die Täter-Opfer-Beziehung, die in 63 Prozent aller Gewaltdelikte nachgewiesen wird. So auch – vermuten viele – bei einem der spektakulärsten ungeklärten Mordfälle der vergangenen Jahre: Im November 2016 betrat ein bis dato Unbekannter einen Frisörsalon in Wien-Meidling und erschoss den Besitzer. Der Täter ist seitdem auf der Flucht. Eine Bekanntschaft der beiden wird vermutet.
Obwohl die Aufklärungsquote von Tötungsdelikten bei beinahe hundert Prozent liegt, gab es alleine in Wien zuletzt fünf Mordfälle, die noch nicht geklärt wurden. Für die Kriminalisten ein schwieriges Unterfangen (siehe Interview).
Michael Mimra, stellvertretender Leiter des Landeskriminalamts Wien, erklärt die Herausforderungen bei ungeklärten Mordfällen.
KURIER: Wie geht man als Ermittler bei solchen Fällen vor?
Mimra:Ein Mord verjährt ja nicht. Es kommen immer wieder neue Hinweise oder Spuren dazu, die damals zu keinem Treffer geführt haben. Man nimmt die Spuren auf und lässt sie durch das Fahndungssystem laufen. Das ist ein routinemäßiges Programm, das automatisch immer wieder abfragt. Natürlich kann es auch sein, dass sich ein neuer Zeuge meldet oder die Ermittlungen neue Ansätze ergeben.
Wie geht man damit um, wenn sich Angehörige melden und nach dem Status quo fragen?
Prinzipiell professionell. Man muss aufpassen, dass man diese Probleme bzw. diese traurige Geschichte, die in einer Familie wie eine Bombe einschlägt, nicht an sich heran lässt. Aber keine Frage, es ist belastend. Umso jünger die Opfer sind umso mehr nimmt es einen mit. Eines ist klar: Jeder Ermittler ist getrieben davon, einen Mord aufzuklären. Ich warne aber immer davon, wie in Filmen zu sagen: Wir fassen den Täter garantiert. Weil damit schürt man eine irrsinnig große Erwartungshaltung, die man möglicherweise nicht erfüllen kann. Dann kippt die Stimmung für beide Seiten ins Gegenteil.
Wie laufen diese Gespräche meistens ab?
Wir bemühen uns, ein Gespräch nicht am Telefon zu führen. Es ist ganz was anderes, wenn das persönlich geschieht. Unser Zugang ist, immer offen damit umzugehen. Man muss halt fairerweise zugeben: Derzeit haben wir keine neuen Erkenntnisse, aber wir bleiben dran. Man darf nicht vergessen, es werden auch nach z.B. 15 Jahren noch Morde geklärt. Das kann aber auch wieder das Gegenteil bewirken, wenn man mit den Angehörigen Kontakt aufnimmt, die das Geschehene verdrängt haben. Dann kommt das Ganze wieder frisch auf. Da ist es schwierig, die Balance zu finden.
Macht man sich als Ermittler dabei selbst Druck?
Wo es nur geht, sollten wir diesen Druck vermeiden. Wo etwas unter Druck passiert, passieren Fehler und die bringen uns nicht wirklich weiter.
Werden die Ermittlungen wegen voranschreitender Technik in zehn oder zwanzig Jahren leichter aussehen?
Ob es leichter wird, kann ich nicht sagen. Aber es werden sich neue Wege auftun.
Zum Beispiel?
In der Spurensicherung wird es bestimmt etwas Neues geben. Dass das Auswerten von DNA-Spuren Routine wird, war vor 20 Jahren noch kein Thema. So wird es auch in den kommenden 20 Jahren wieder etwas Neues geben, möglicherweise sind das Gesichtserkennungsprogramme. Das wichtigste wird aber auch weiterhin sein, dass der Ermittler vor Ort, am Tatort ist und mit den Leuten das Gespräch sucht.
Entwickelt sich auch die Herangehensweise der Täter weiter?
Nicht wirklich. Die meisten Tötungsdelikte werden noch immer mit dem Messer verübt.
Und wie schaut es beim Hinterlassen von Spuren oder Indizien aus?
Die Täter werden in manchen Bereichen schon ein bisschen professioneller. Weil man es ja mittlerweile bei jedem Krimi im Fernsehen sieht. Aber zum Glück halten wir da mit und entwickeln uns auch ständig weiter.