Spekulant reißt bewohntes Haus ab
Von Birgit Seiser
Ein 171 Jahre altes Haus in der Radetzkystraße wird 25 Mietern im Moment quasi unter den Füßen weggerissen. Ein Immobilien-Spekulant will an der Adresse Luxusappartements errichten, die ihm weitaus mehr Geld einbringen würden, als die Sanierung des Gebäudes. Das Haus steht seit 1847 an der Adresse und war Wiens erstes Zinshaus, das im Stil der Neogotik erbaut wurde. Die einprägsame Fassade, die auf den Donaukanal blickt, wird seit Mittwoch mit Schlagbohrern bearbeitet.
Abriss ist legal
Dass die Bauarbeiten begonnen haben, obwohl es noch neun unbefristete Mietverträge gibt, klingt absurd. Rechtlich ist das laut Stadt Wien aber legal. Anstoß für den schnellen Start der Abrissarbeiten vergangene Woche ist das Inkrafttreten der neuen Wiener Bauordnung.
Der Punkt, der den Abriss von Altbauten betrifft (siehe unten), soll verfrüht schon am Donnerstag beschlossen werden und ab Sonntag gelten – für die Mieter Fluch und Segen zugleich. Der Hauseigentümer hat den Abriss nämlich so schnell vorangetrieben, um dieser Gesetzesänderung zu entgehen. Andererseits könnte der Abriss dadurch am Sonntag aber auch gestoppt werden: Laut Stadt Wien gilt die neue Bauordnung nämlich auch für Häuser, bei denen der Abbruch bereits begonnen hat.
Aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Kathrin Gaal heißt es, dass der Abriss derzeit gesetzeskonform sei. „Es wurde ein Gesamtabriss eingereicht. Wohnen noch Menschen in dem Haus, dann darf nur so viel abgerissen werden, wie zumutbar ist“, sagt Daniel Benyes, der Sprecher von Wohnbaustadträtin Gaal. Solange es also nicht durch das Dach regnet oder der Strom ausfällt, hat die Baupolizei keine Mittel gegen den Abriss in der Hand.
Laut Benyes werde die Baustelle täglich überprüft. Zwar wurden in einigen Wohnungen schon Risse in den Wänden gemeldet, diese seien aber nicht schädigend für die Bausubstanz.
Stadt fürchtet Klage
Stoppt die Stadt Wien die Bauarbeiten noch vor Sonntag, müsste sie mit Klagen des Besitzers rechnen. Der ist bei der Mieterhilfe Wien kein Unbekannter: Immer wieder kam es zu Problemen. Erst vor einem Monat ließ er einen Altbau in der Baumgasse 71 in Wien-Landstraße abreißen. Auf der Website des Unternehmens können Interessenten bereits Pläne der neuen Luxusimmobilie sehen, die dort entstehen soll. Das Projekt „Die goldene Linde“ wartet mit 20 Eigentumswohnungen und Terrassen auf. Kaufpreise werden auf der Homepage nicht veröffentlich. Auf KURIER-Anfrage wollte sich bei der Immo-Firma niemand zum geplanten Projekt in der Radetzkystraße äußern.
Die Bewohner wollen durchhalten. Andreas Vesely ist einer der Mieter und mobilisiert seit Tagen gegen den Abriss. Er ist der Initiator einer Petition und hat vergangenen Freitag eine Demo organisiert: „Der Eigentümer will uns durch die Bauarbeiten vertreiben. Das lassen wir nicht zu. Die Mietverträge sind aufrecht.“
Dass mit der Änderung der Bauordnung der Abriss kommende Woche gestoppt werden könnte, ist durchaus denkbar. Das Haus wird in architektonischer Fachliteratur erwähnt, was ein Kriterium für den Erhalt von Gründerzeithäusern ist.
Bis dahin wird die Baupolizei laut Stadt Wien vor Ort sein und die Arbeiten akribisch überprüfen.
Neue Regelung
Technische Abbruchreife Eine technische Abbruchreife soll mit Inkrafttreten der neuen Bauordnung nur mehr vorliegen, wenn die Instandsetzung des Hauses als technisch unmöglich gilt. Dies führt de facto zu einer Abschaffung der technischen Abbruchreife.
Künftig können einzelne Gebäude als Schutzzonen ausgewiesen werden. Bisher wurden die Zonen nur um Häuser, die im Gebäudeverbund stehen, bewilligt. Schutzzonen sind Bereiche, in denen der Erhalt des Stadtbildes zu gewährleisten ist. Voraussetzung für einen Abbruch ist nun auch eine Bestätigung des Magistrats, dass kein öffentliches Interesse am Erhalt eines Hauses besteht. Kann eine solche nicht vorgelegt werden, ist eine Bewilligung zu erwirken. Zwecks der Erhaltung stadtbildprägender Gebäude der Gründerzeit gilt das auch für Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden.