Chronik/Österreich

"Das ist besser als Wegsperren"

Die Gastwirtin Eva Mierl hat ein moralisches Angebot bekommen: Zwölfeinhalb Tage zum Nichtstun hinter Gittern verurteilt zu sein oder 49 Stunden sinnvollen Einsatz für das Gemeinwohl zu leisten. "Ich wollte nicht nur dem Staat auf der Tasche liegen", sagt die 43-Jährige, die den alternativen Weg wählte. "Weil das ist besser als Wegsperren. Da wird nur die Zeit totgeschlagen, davon hat niemand was."

500 bis 600 Steuersünder wie Eva Mierl büßen pro Jahr ihre Geldstrafe, die sie nicht zahlen können, mit gemeinnützigen Leistungen ab. Schwitzen statt (ab-)sitzen, und im Gefängnis ist ohnehin schon kein Platz mehr. Bei der Wirtin aus Thomasroith in Ottnang am Hausruck, Oberösterreich, waren es 2500 Euro. Sie hatte das Gasthaus früher mit ihrem Ex-Lebensgefährten geführt, "der hat mit Arbeit nix am Hut g’habt" und ihr Steuerschulden hinterlassen. Die Umsatzsteuer für die Konsumationen war nicht abgeführt worden. Eva Mierl musste dafür geradestehen.

Nicht verstecken

Der Verein Neustart bot ihr an, sie nach Linz oder Wels zu vermitteln, wo sie ganz anonym ihre 49 Sozialdienststunden abdienen hätte können. Es gab aber auch den Altenhof der Betreuungseinrichtung für Behinderte, Assista, gleich im Nachbarort.

"Ich hab’ nix zu verbergen", sagte Eva Mierl und entschied sich für diesen Standort: "Ich hab’ einen Fehler gemacht, ich steh’ dazu, ich will mich nicht verstecken." Schon die Oma habe gepredigt: "Es derf an schmeißen, aber aufsteh’n net vergessen."

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Im "Wiazhaus" – sie betreibt das Gasthaus jetzt mit ihrem neuen Lebensgefährten – spielte die Wirtin von Anfang an mit offenen Karten. Dass sie wegen Abgabenhinterziehung verurteilt worden ist und eine Strafe abzubüßen hat, war kein Geheimnis. Und die Stammgäste hielten ihr die Treue. Die Familie stand ohnehin hinter ihr, "denen war es natürlich auch recht, dass ich net wegg’sperrt bin."

Von der Betreuungsarbeit im 11er-Haus am Altenhof war sie begeistert. Pflegedienste bleiben dem ausgebildeten Personal vorbehalten, aber sie konnte den Lebensalltag der Behinderten verbessern. "Ich hab’ aufgewischt, ihre Pflanzen gepflegt, wir haben miteinander gesungen. Die Menschen dort können ja vieles nicht mehr selber machen. Und sie haben mir ihre Lebensgeschichten erzählt." Sie habe dabei "viel geschenkt bekommen, weil man Freude ins Leben von so gestraften Menschen bringen kann."

Der Einsatz in der Einrichtung für betreutes Wohnen haben die Wertigkeiten in ihrem Leben verändert, sagt Eva Mierl. Die 49 Stunden hat sie längst abgedient, aber die Beziehung zu den Menschen dort hat gehalten. Noch heute kommt sie oft zu Besuch.

Scheinbar anonym

Der Verein Neustart organisiert die gemeinnützigen Leistungen als Alternative zu Haft- oder Ersatzfreiheitsstrafen. Die gewöhnlichen Verwaltungsstrafen (z. B. Verkehrsdelikte) können nach wie vor nicht auf diese Weise verbüßt werden, jene im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren aber seit 2013 schon. "Die Gesellschaft als scheinbar anonymes Opfer der Steuerhinterziehung hinterlässt bei den Tätern oft wenig Schuldeinsicht", sagt Neustart-Geschäftsführer Christoph Koss: "Die konkrete Hilfe für einen hilfsbedürftigen Menschen aus dieser Gesellschaft lässt aber das Unrechtsbewusstsein und den Stolz auf die Wiedergutmachung entstehen."

Apropos: Eva Mierl zeigt voll Stolz eine Postkarte, die sie von der Betreuungseinrichtung bekommen hat. Darauf steht, es sei eine Bereicherung gewesen, Eva Mierl dagehabt zu haben.

Schwitzen statt Sitzen

Diversion: Im Jahr 2013 erbrachten 4313 Täter gemeinnützige Leistungen als Alternative zu Prozess und Vorstrafe.

Geld- und Finanzstrafen: 4209 zu Geldstrafen Verurteilte und 314 Steuersünder (pro Jahr wird mit 600 gerechnet) leisteten im Vorjahr Dienst für das Gemeinwohl. Sie konnten nicht zahlen und hätten Ersatzhaft absitzen müssen.

8818 Personenerbrachten im Vorjahr gemeinnützige Leistungen.