Sondereinheit nahm Verdächtigen auf offener Straße fest
Mehr als 400 Hinweise sind seit der Veröffentlichung des Phantombilds im bayerischen Bad Reichenhall bei der Polizei eingegangen. Einer davon könnte jetzt der Schlüssel zur Aufklärung des brutalen Mordes vom 14. Juli gewesen sein.
Die Polizei hat am frühen Donnerstagabend einen Verdächtigen festgenommen. Es handle sich um einen 21-jährigen Mann aus der Umgebung, auf den die Personenbeschreibung passe, sagt Jürgen Thalmeier, Sprecher der Sonderkommission "14. Juli" des Bayrischen Landeskriminalamts.
Verdächtiger bestreitet Tat
Die Festnahme auf offener Straße in Bad Reichenhall hat das deutsche Sondereinsatzkommando (SEK) durchgeführt. "Das war nötig, weil wir angesichts der Brutalität des Verbrechens damit rechnen mussten, mit einem sehr gefährlichen Täter konfrontiert zu sein", erklärt Thalmeier. Der Zugriff sei aber reibungslos verlaufen. Am Freitag wurde der Verdächtige stundenlang einvernommen, dabei bestritt er die Tat. Am späten Abend wurde die U-Haft über den 21-Jährigen verhängt, die Haftprüfung dauerte über vier Stunden.
Einige Hinweise würden direkt auf den 21-Jährigen passen, zudem sehe ihm das Phantombild verblüffend ähnlich, erläuterte Polizeisprecher Franz Sommerauer im Gespräch. Die Mordermittler wirken also zuversichtlich, den richtigen Mann gefasst zu haben.
Anders als beim ersten Verdächtigen: Der musste am vergangenen Dienstag nach vier Tagen in U-Haft wieder freigelassen werden, weil sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärtet hatte. Am Tatort wurden DNA- und Faserspuren sichergestellt, ein Abgleich verlief negativ. Ausständig ist noch das Täterprofil, das von dem bekannten Münchner Profiler Alexander Horn erstellt wird.
Aufatmen
Die Bevölkerung von Bad Reichenhall und dem grenznahen Salzburg dürfte jetzt aufatmen. Die Unsicherheit und die Angst vor einer neuerlichen Attacke des Raubmörders war beim KURIER-Lokalaugenschein am Mittwoch zu spüren – wohl deshalb, weil die Opfer der Fußball-WM-Nacht offenbar willkürlich ausgesucht worden sind.
Wie berichtet, wurde der 73-jährige Alfons S. gegen 3 Uhr morgens in der Altstadt überfallen und zu Tode geprügelt. Ein paar hundert Meter weiter attackierte der Täter dann die 17-jährige Sarah F. mit einem Messer und verletzte sie schwer. Das Mädchen wird im Landeskrankenhaus Salzburg behandelt. Zu ihrer Sicherheit wurde das Security-Personal aufgestockt, außerdem steht ihr eine Polizistin zur Seite, heißt es aus dem Spital. Ihr Zustand ist unverändert stabil.
Mehrere dutzend Grabkerzen und ein Blumenmeer bedecken eine Stelle am Kopfsteinpflaster vor dem Bürgerbräuhaus im bayerischen Bad Reichenhall. "Schau, da ist es passiert", flüstert eine Passantin im Vorbeigehen.
Es ist die Stelle, an der am 14. Juli der 73-jährige Alfons S. von einem Unbekannten zu Tode geprügelt wurde. Kurz darauf attackierte derselbe Täter ein paar hundert Meter weiter noch eine 17-Jährige mit einem Messer. Sie überlebte mit schweren Stichverletzungen.
Die Lebensgefährtin des Toten meidet die Gedenkstelle. Verstehen kann sie die Tat bis heute nicht. "Alfons hat mit seinen Freunden gefeiert, dass Deutschland Fußballweltmeister geworden ist. Für seine letzten Euros hat er noch eine Lokalrunde spendiert. Er hatte also nicht einmal Bargeld dabei, das man ihm rauben hätte können", sagt sie mit Tränen in den Augen. Am Mittwoch nahm sie bei der Beisetzung Abschied.
Phantombild
Auch einem Urlauber-Paar aus Mainz ist seit dem Vorfall mulmig zumute. Immerhin läuft der Mörder noch frei herum, macht Jutta ihren Gatten Klaus aufmerksam. "Mörder gibt es überall", sagt er, und schlendert weiter. Er will die Augen offen halten, das Phantombild hat er sich gut eingeprägt.
Bevölkerung in Angst
So geht es vielen in der Kurstadt nahe der Salzburger Grenze, weiß Jürgen Thalmeier von der Sonderkommission des Bayrischen Landeskriminalamts. "Tötungsdelikte haben meistens etwas mit persönlichen Beziehungen zu tun. Dieser Fall ist anders. Das bewegt ganz Reichenhall, weil man denkt: ‚Das hätte mir auch passieren können’", beschreibt Thalmeier die Stimmung.
Die 50-köpfige Sonderkommission arbeitet auf Hochtouren, kann die Tatnacht aber nur vage rekonstruieren: Die beiden Opfer haben sich unabhängig voneinander in der Kneipe P42 in der Poststraße aufgehalten. Der Täter dürfte in den Morgenstunden zuerst dem 73-jährigen Alfons S. durch die Fußgängerzone zum Bürgerbräu gefolgt und nach der Bluttat weiter zur Berchtesgadener Straße gegangen sein, wo er auf sein zweites Opfer, die 17-Jährige, traf.
Das Motiv ist noch völlig unklar. Ein Team von Fallanalytikern – darunter der bekannte Profiler Alexander Horn aus München, der bereits beim Fall Lucile in Tirol beteiligt war – arbeiten gerade an einem Täterprofil. Vom "klassischen" Raubmord bis zum Anschlag eines psychisch Kranken sei alles möglich, sagt Thalmeier.