Chronik/Österreich

Schatten über dem Hüttenpraktikum

Es lässt sich nicht verbergen, wie sehr das Erlebte Ganga Bahadur Tamang noch auf die Seele drückt. Am 25. April hat ein massives Erdbeben schwere Zerstörungen in seiner Heimat Nepal verursacht. "Ich konnte gerade noch meine Frau, meine Tochter und meine damals gerade erst fünf Wochen alte Enkelin ins Freie bringen", erzählt der 47-Jährige. Seine Mietwohnung in der Hauptstadt Kathmandu wurde komplett zerstört. In seinem abgelegenen Heimatdorf in der Region Solu-Khumbu haben auch viele Verwandte von Ganga ihre Häuser verloren.

Jetzt sitzt er während einer Pause vor der Kellerjoch-Hütte oberhalb von Schwaz. Hinter ihm wehen Tibet-Fahnen im Wind. Es seine vierte Saison hier auf 2237 Metern oberhalb von Schwaz. Ganga nimmt am Projekt "Sherpas in Tirol" Teil, das der Verein "Nepalhilfe Tirol" der Bergsteiger-Legende Wolfgang Nairz 2005 ins Leben gerufen hat. In Zusammenarbeit mit dem AMS können Nepalesen dabei auf Tiroler Hütten mitarbeiten. Hier sammeln sie Erfahrungen im Tourismus und verdienen Geld, das sie nun dringender denn je benötigen.

Trauer im Gepäck

"Bevor ich gefahren bin, habe ich für meine Familien noch einen Unterstand mit einem Blechdach gebaut", erzählt Ganga. Die letzten Tage vor der Abreise Anfang Juni musste sich der Nepalese auch noch um die Trauerfeier seines Freundes Purna kümmern. Der kam bei dem Erdbeben während einer Trekkingtour durch eine Schlammlawine um. Er war vor Ganga hier vier Jahre lang auf der Hütte im Einsatz.

"Wir sind hier wie eine Familie", sagt Hüttenwirtin Veronika Felderer. "Man lebt und arbeitet auf engstem Raum miteinander", erklärt sie. Im Gastraum hängt ein Bild von Purna als Andenken an den verunglückten Nepalesen, den hier alle genau so ins Herz geschlossen haben wie Ganga.

Der steht jeden Tag vor den großen Töpfen in der Küche der über 100 Jahre alten Hütte. Auf dem Herd kocht neben Suppe und Knödeln auch ein nepalesisches Dal – ein Linsengericht. Ganga ist aber längst in der Tiroler Kost Zuhause. "Er kann das inzwischen besser als ich", streut ihm Veronika Rosen. "Jetzt kann ich alles, darf aber nächstes Jahr nicht mehr kommen", bedauert Ganga indes. Die AMS-Kontingente sind auf vier Jahre begrenzt.

Viele Hüttenwirte würden die Sherpa gerne länger beschäftigen, nachdem sie diese ausgebildet haben. Veronika schlägt vor, zumindest einen Teil des Sherpa-Kontingents für zusätzliche Aufenthalte der Hütten-Helfer aus dem Himalaya zu widmen.

Während des Tiroler Sommers hat der Bergtourismus in Nepal weitestgehend Pause. Er ist die Haupteinnahmequelle des Landes, vor allem für die ärmsten Bevölkerungsgruppen. In Tirol sollen die Sherpa Rüstzeug bekommen, um ihr eigenes Geschäft aufzubauen. "Wenn sie etwa selber einmal eine kleine Lodge aufmachen wollen, lernen sie, wie man mit Ressourcen umgeht, Wasser rein hält und vieles mehr", sagt Veronika. Doch der Tourismus liegt in Nepal nach dem Erdbeben weitestgehend brach, berichtet Wolfgang Nairz dem KURIER direkt aus der Region. Selbst in Westnepal, wo überhaupt nichts zerstört worden sei, gäbe es keine Trekking-Urlauber. "Die Menschen leiden ganz gewaltig darunter", sagt Nairz.

Reisen kann helfen

"Die beste Hilfe für die Menschen ist der Tourismus", sagt auch Hüttenwirtin Veronika. Die Spenden dürften aber ebenfalls nicht versiegen. "Das ist so wichtig", pflichtet Ganga bei. Denn von der eigenen Regierung sei kaum etwas zu erwarten. "Ich habe keine Hoffnung, dass sie uns hilft."

Es gibt viele Beziehungsstränge von Tirol nach Nepal. Das ist nicht zuletzt den vielen heimischen Alpinisten geschuldet, für die der Himalaya Traumdestination ist. Bereits vor dem großen Erdbeben im April, gab es zahlreiche Hilfsprojekte, die nun auch als Katastrophenhilfe fungieren:

Nepalhilfe Tirol. Der Verein des Tiroler Everest-Pioniers Wolfgang Nairz organisiert bereits seit Jahren verschiedenste Hilfsprojekte. Nach dem Beben wurden bereits Zehntausende Euro gespendet, die der Verein unter anderem für den Wiederaufbau der medizinischen Versorgung und von Häusern investiert hat. Nähere Infos unter: www.nepalhilfe-tirol.at

Sancho. Die Errichtung einer Erste-Hilfe-Station in der Solu-Khumbu-Region war der Ausgangspunkt für das Projekt. Nach dem Erdbeben hat auch diese Initiative in Schwaz Spenden zur Katastrophenhilfe organisiert. Weitere Informationen unter: www.sancho-nepal.org