Chronik/Österreich

Richter strafen wieder mehr

Seit 13 Jahren gibt es in Österreich die Diversion als Alternative zur herkömmlichen Verurteilung. Außergerichtlicher Tatausgleich, gemeinnützige Leistung oder Geldbuße statt öffentlicher Strafverhandlung und Vorstrafe. Man versprach sich davon eine Entlastung der überfüllten Gefängnisse und eine Eindämmung der Prozessflut über Bagatelldelikte.

Das ging lange Zeit auch gut. Die Zahl der mit Diversion erledigten Strafverfahren (überwiegend wegen Alltagskriminalität) überragte jene der mit einer klassischen Verurteilung beendeten deutlich. 2004 gab es noch mehr als 47.000 Diversionsfälle, im Gegensatz zu 45.000 Verurteilungen. Seither machen die Richter und Staatsanwälte immer seltener Gebrauch von der Alternative und greifen lieber wieder in den Schmalztopf (Jargon für spürbare Strafen).

Trend hält an

2010 kippte das Verhältnis endgültig: Die Zahl der Strafverfahren ging zwar insgesamt zurück, aber nun gab es nur noch 37.000-mal Diversion, dafür aber mehr als 38.000 Strafurteile. Der Trend hielt 2011 an und setzte sich im vergangenen Jahr (es gibt noch keine endgültige Statistik) fort.

Sektionschef Christian Pilnacek aus dem Justizministerium sagt, den Ursachen werde nachzugehen sein, doch der Rückgang stelle im Verhältnis zu den Gesamtzahlen keinen Grund zur Beunruhigung dar.

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Justizpraktiker sehen das etwas anders. Der Vorsteher des Bezirksgerichts Meidling, Oliver Scheiber, nennt den „ständigen Ruf nach strengeren Strafen“ als eine Ursache des Rückganges der Diversion. Gerade ist eine Novelle zum Sexualstrafrecht in Begutachtung, die – längst überfällig – die Fußfessel-Vergabe für Sextäter verschärft. Zugleich aber will der Gesetzgeber wieder an Mindeststrafen drehen, und das wirkt sich laut Scheiber auf die Grundstimmung unter Staatsanwälten und Richtern aus.

Einen weiteren Grund für den Rückgang bei der Diversion sieht der Gerichtsvorsteher darin, dass diese Erledigungsform mehr Arbeit macht. Besonders deutlich wird das beim Außergerichtlichen Tatausgleich, den die Justiz immer seltener „verordnet“ (2009 waren es noch 6245 Fälle, 2012 nur noch 5518). Täter und Opfer müssen an einen Tisch gebracht werden, die Schadensgutmachung ist zu regeln, die Entwicklung muss überwacht werden, das dauert Wochen bis Monate. Ein Urteil ist schneller gefällt und der Aktendeckel damit rasch geschlossen.

Dabei hat gerade das Opfer vom Tatausgleich mehr als von jeder anderen Form der gerichtlichen Aufarbeitung. Sozialarbeiter vom Verein Neustart helfen, „die Emotionen und Ansprüche des Opfers zu artikulieren und dem Täter die Folgen seiner Handlungen vor Augen zu führen“, wie Neustart-Sprecher Andreas Zembaty sagt. Dadurch wird der „soziale Friede“ wiederhergestellt, die Rückfallsquote ist bei diesen Fällen auffallend gering.

„Man muss für die Diversion ständig werben“, sagt Richter Scheiber, damit nicht irgendwann „totes Recht“ daraus wird.

Der Kärntner Finanzjongleur Wolfgang Auer-Welsbach möchte auch gerne in den Genuss der Haft-Alternative kommen. Er sitzt gerade seine achtjährige Haftstrafe wegen Betruges ab und müsste noch 270 Tage als Ersatzarrest für eine uneinbringliche Finanzstrafe von 300.000 anhängen. Stattdessen würde er gern gemeinnützige Leistungen (z. B. Hilfsdienste in einer Caritas-Einrichtung) erbringen. Die Haft-Ausgänge, die man ihm in der Justizanstalt Graz-Karlau gewährt, werden dafür freilich nicht reichen.

Immerhin haben diese Ausgänge aber zu einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ an Justizministerin Beatrix Karl geführt. Man hat den im Februar 2011 verurteilten Auer-Welsbach schon mehrmals in Freiheit gesehen und fragt sich, weshalb er jetzt schon Hafterleichterung bekommt.

Gefängnischef Brigadier Franz Hochstrasser sagt, der Häftling komme 2015 für die bedingte Entlassung nach zwei Dritteln seiner Strafe in Betracht. Rund zwei Jahre davor stehen ihm als Ersttäter laut Gesetz bis zu acht Ausgänge pro Quartal zu. Auer-Welsbach bekommt sie für Anwaltstermine und zur Auflösung seiner Firmen.