Pendler zwischen zwei Welten
Von Georg Markus
Einmal im Jahr kommt er angeflogen, bewegt sich hier vor allem zwischen Wien und Payerbach an der Rax, und das seit geraumer Zeit schon. Hans Hacker feiert bald seinen 99. Geburtstag und hängt an Österreich, obwohl man ihn vor 80 Jahren von hier vertrieben hat. Das Porträt eines der letzten Grandseigneurs.
Hans Hacker ist, wenn er mit seinen 1,85 Metern forschen Schritts durch Wien marschiert, eine eindrucksvolle Erscheinung. Nicht minder eindrucksvoll ist’s, wenn er aus seinem Leben erzählt. Schnell und wachsam ist sein Geist, treffsicher der Humor. Auf die Frage, ob er sich mit Österreich versöhnt hätte, sagt er: „Ich musste mich nicht versöhnen, ich war ja nie bös auf Österreich, Österreich war bös zu mir.“
Hacker-Silber
Hans Hacker entstammt einer altösterreichisch-jüdischen Familie. Die von seinem Großvater gegründete Firma „Hacker-Silber“ belieferte Hotels und Restaurants in allen Teilen der Monarchie mit Besteck und Tafelsilber, entworfen von Kolo Moser und anderen prominenten Künstlern.
Am 6. November 1919 in Wien geboren, traf ihn mit fünf Jahren der erste Schicksalsschlag, als seine Mutter an Krebs starb. Hans wuchs mit seinem um fünf Jahre älteren Bruder Friedrich in einem assimilierten Umfeld auf, der Vater kümmerte sich vor allem ums Geschäft, „für uns waren eine Köchin und ein paar Nachhilfelehrer da, bei denen wir nicht viel gelernt haben, eher haben wir denen das Bridgespielen beigebracht.“
Am Korso
In der Ersten Republik flanierte die gutbürgerliche Welt wie zu Kaisers Zeiten jeden Sonntagvormittag am Korso zwischen Oper und Schwarzenbergplatz. Als Hacker dort einen Dragoner in fescher Uniform traf, der wie er an der Stubenbastei maturiert hatte, beschloss er, als Einjährig-Freiwilliger zur Kavallerie zu gehen. „Es war eine Schnapsidee, denn ich war der einzige Kavallerist, der nicht reiten konnte“.
Hans Hacker verstand wenig von militärischen Fragen, hat aber bald erkannt, „dass sich Österreich mit dieser Truppe vielleicht gegen Liechtenstein hätte verteidigen können, aber gegen sonst niemanden. Am 11. März 1938 mussten wir noch wie in einer schlechten Operette unsere Säbel schleifen, am nächsten Tag ist Hitler einmarschiert, und über unserer Kaserne in Stockerau flogen ein paar Dutzend Bombenflugzeuge. Und dennoch“, meint Hacker, „hätte sich Österreich verteidigen müssen. Man kann nicht sagen ,Rot-Weiß-Rot bis in den Tod’ und dann das Land kampflos aufgeben.“
Flucht in die USA
Während seine beiden Großmütter in Theresienstadt ermordet wurden und auch andere Verwandte dem Holocaust zum Opfer fielen, gelang Hans Hacker, seinem Vater und seinem Bruder die Flucht über Prag und London in die USA, wo er sich nach dem Krieg eine neue Existenz aufbaute. Er studierte Elektrotechnik, wurde Fabrikdirektor und war bis nach seinem 80. Geburtstag berufstätig.
Sein Bruder wurde indes ein berühmter Psychiater: Friedrich Hacker, der in Wien noch Sigmund Freuds Vorlesungen besucht hatte, eröffnete in Los Angeles die renommierte „Hacker Clinic“, zu deren Patienten Hollywoodprominenz von Robert Mitchum über Judy Garland bis Ray Charles zählte. Ab den 1960er-Jahren der weltweit führende Terror- und Aggressionsforscher, half Friedrich Hacker den Mord an der Schauspielerin Sharon Tate und den Überfall auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München aufzuklären. In der Wiener Berggasse ließ er als Präsident der Freud-Gesellschaft in den früheren Wohnräumen des „Vaters der Psychoanalyse“ das heutige Sigmund-Freud-Museum errichten.
Die Hacker-Brüder flogen Jahr für Jahr gemeinsam nach Österreich, nach Friedrichs Tod im Jahr 1989 kam Hans weiterhin regelmäßig mit seiner Frau Lisl. Diese, gebürtige Wienerin wie er, hatte er mit 16 Jahren bei einer Vorstellung im Ronacher kennengelernt, danach waren sie 78 Jahre ein glückliches Paar mit zwei Söhnen: Michael lebt als Drehbuchautor in Los Angeles, Anthony als Psychologe in Seattle.
Weisheit und Humor
Seit Lisls Tod vor fünf Jahren kommt Hans Hacker jedes Jahr allein nach Österreich, eben war er wieder da, blieb zwei Monate, wohnte wie immer im Loos-Haus in Payerbach, fuhr aber fast täglich mit der Bahn nach Wien, um Freunde zu treffen. Zu ihnen zählten einst – wohl infolge seiner Weisheit und seines unverwüstlichen Humors – Helmut Qualtinger, Curd Jürgens, Susi Nicoletti und Bruno Kreisky. Seit fünf Jahrzehnten ist Hugo Portisch einer der engsten Freunde.
Fragt man Hans Hacker, wie er mit seinen fast 99 Jahren so jung geblieben ist, lacht er: „Nebbich, jung geblieben! Ich habe aktiv nichts dazu beigetragen, ich rauche, ich trinke – wenn auch in Maßen. Bis vor ein paar Jahren bin ich auf die Rax gestiegen und Ski gefahren, das ist alles.“
Ihm und seiner Familie wurde 1938 alles genommen, die Fabrik, ein großes Zinshaus neben der Staatsoper und vieles mehr. Zurückbekommen haben sie fast nichts. „Ich kenne kein Selbstmitleid, auch wenn das eine große Ungerechtigkeit war“, sagt er, „ich brauch keinen Reichtum, verzweifeln kann man nur daran, dass so viele meiner Angehörigen ermordet wurden.“
Er fühlt sich wieder wohl in Österreich, „auch wenn ich nicht vergessen habe, was damals geschehen ist. Das war ja nicht nur eine andere politische Partei, das war eine Bande von Mördern. Ich gehöre aber nicht zu denen, die der Enkelgeneration einen Vorwurf machen, die trifft keine Schuld. Schuld haben sie nur dann, wenn sich das wiederholt. Sicher muss man in einem Land, in dem all das passiert ist, sehr wachsam sein.“
Nicht ins Seniorenheim
Er hat schon das eine oder andere Seniorenheim in Wien besichtigt, sich dann aber dagegen entschieden. „Ich bin nicht der Typ dafür und habe beschlossen, mein Leben so fortzuführen wie es jetzt ist.“
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