Was aus den Schleppern der A4-Tragödie wurde
In jener Pannenbucht im burgenländischen Parndorf, in der der Kühl-Lkw mit 71 Flüchtlingen am 27. August des Vorjahres zu stehen kam, erinnern heute ein paar Blumen und Grablichter an die Tragödie. Ein Jahr später ist die Gemeinde Parndorf mit der emotionalen Aufarbeitung der Tragödie beschäftigt; die juristische obliegt den Behörden in Ungarn.
Dort sitzen derzeit fünf der insgesamt sechs verdächtigen Schlepper in U-Haft. Vier von ihnen wurden schon einen Tag nach dem Vorfall verhaftet. Wie der KURIER jetzt erfuhr, soll der bulgarische Geheimdienst damals der Polizei in Ungarn den entscheidenden Tipp gegeben haben. Die Polizei in Österreich übermittelte demnach nur noch pro forma die sichergestellten Fingerabdrücke an die ungarischen Behörden.
Für Verwunderung sorgte damals, dass die Staatsanwaltschaft in Eisenstadt recht rasch das Verfahren an die Kollegen im südungarischen Kecskemet abtrat. Offiziell, weil die 71 Flüchtlinge bereits in Ungarn gestorben sein sollen. Inoffiziell heißt es, die österreichischen Behörden hätten sich nicht gerade um den Fall gerissen, in dem ein Geheimdienst und der tschechische Finanzminister verwickelt sind (er hält Anteile an der Wurstfabrik, in deren Besitz der Lkw einst gestanden ist).
Prozess im Herbst?
Abgeschlossen sind die Ermittlungen zum Tod der 71 Flüchtlinge aber auch heute noch nicht: Jene fünf Männer, die für die Schleppung und den Tod der 71 Flüchtlinge verantwortlich sein sollen, sitzen weiterhin in Ungarn in Untersuchungshaft. Laut der Sprecherin der Staatsanwaltschaft Kekscemet, Marianna Bodo, wurde die U-Haft über die vier Bulgaren und einen Afghanen bis 29. August verlängert. "Die Ermittlungen laufen, die Verdächtigen wurden bereits einvernommen", sagt Bodo zum KURIER. Sie rechnet damit, dass den Beschuldigten frühestens im Oktober der Prozess gemacht wird.
Oberamtsrat Paul Haider kennt die Namen der Toten. In drei roten Ordnern hat Haider die Dokumente gesammelt. "Es waren nicht nur die Namen, die wir aufgelistet haben, es gibt auch Fotos zu den 70 Toten. Die Menschen haben ein Gesicht für uns", erklärt Haider.
Etliche Angehörige seien im vergangenen Jahr in die Gemeinde gekommen, um zu fragen, wo man denn ihre toten Familienmitglieder gefunden habe. Viele haben Bestatter geschickt, um die Habseligkeiten der Verstorbenen abzuholen. "Im Frühjahr wurde der Akt nach einer Abschlussbesprechung mit dem Landeskriminalamt nun endgültig geschlossen."
Auseinandersetzung
In der Gemeinde Parndorf, dem Fundort der Leichen, sind die Erinnerungen an das schreckliche Ereignis noch immer präsent. "Wenn wieder ein Schlepperfahrzeug erwischt wird, kommen die Erinnerungen an den 27. August 2015 hoch", sagt Bürgermeister Wolfgang Kovacs. Auch wenn er einen Kleinbus entdeckt, der längere Zeit in einer Pannenbucht oder beim Outlet Center stehe, werde er misstrauisch. "Wir waren in Parndorf emotional schon sehr mit der Tragödie konfrontiert."
Vier bis sechs Darsteller sollen an dem Stück teilnehmen. In der Mitte der Bühne will Wagner einen Kubus aufstellen. "Er soll die Ausmaße des Kühl-Lkw haben, in dem die 71 Menschen erstickt sind."
Es soll aber nicht nur die Rolle von Opfern und Tätern behandelt werden, sondern auch, wie viele Menschen zur Identifizierung der Toten beigetragen haben. Deshalb werde ein Interview mit dem damaligen Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil in das Stück eingespielt.
Was mit dem Todes-Lkw passiert, in dem 71 Menschen qualvoll gestorben sind, ist noch ungewiss. Das Tatfahrzeug wurde beschlagnahmt und nach der Spurensicherung und der kriminalpolizeilichen Auswertung an die ungarischen Behörden übergeben. „Der Lkw ist weiterhin konfisziert, im Falle einer Anklage wird das Gericht darüber entscheiden“, erklärt der Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft des Komitats Bács-Kiskunder, Gábor Schmidt.
Fix hingegen ist: Ein Großteil der im Burgenland sichergestellten Schlepperautos wird versteigert, die Abwicklung übernimmt das Dorotheum. Das Geld fließt an das Landesgericht. „Da es dabei meistens um alte, desolate Autos geht, kommen dabei keine Reichtümer herein. Das ist also kein großes Geschäft für die Republik“, sagt Johann Fuchs, der Leiter der Staatsanwaltschaft Eisenstadt. Handelt es sich bei dem Tatfahrzeug um ein Mietauto „unbedenklicher Herkunft“, bekommt die Autovermietungsfirma ihren Besitz wieder zurück.
Im Jahr 2015 wurden 80 bis 100 Autos im Burgenland beschlagnahmt, schätzt Fuchs. Viele davon stehen nach wie vor auf dem Lkw-Parkplatz neben der Grenzpolizei-Inspektion Nickelsdorf und warten auf neue Besitzer.
Der grauenvolle Leichenfund von Parndorf hat auch ein polizeiinternes Nachspiel. Die Kronen Zeitung hatte, wie berichtet, dafür gesorgt, dass das Bild der toten, zusammengepferchten Körper aus dem Lkw für die Öffentlichkeit auch schwarz auf weiß des Blattes zu sehen war.
Das sogenannte „Todes-Foto“ wurde der Zeitung offenbar aus Polizeikreisen zugespielt.
Seit nunmehr einem Jahr versucht die Staatsanwaltschaft Eisenstadt herauszufinden, wer bei der Polizei für diesen Fauxpas verantwortlich ist. 17 Polizisten stehen im Visier der Justiz, einer von ihnen soll das Foto an die Krone weitergegeben haben. Dass dabei Geld geflossen sein soll, dafür gebe es keine Anhaltspunkte, sagt Johann Fuchs, Leiter der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen befinden sich in einem „fortgeschrittenen Stadium“, wann es zu einem Abschluss kommen soll, kann Fuchs derzeit aber nicht abschätzen.
Wegen des enormen öffentlichen Interesses will sich die Staatsanwaltschaft jedenfalls keine Blöße geben und einen „Schuldigen“ ausforschen. Mit den Erhebungen ist das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung, kurz BAK, betraut. Derzeit ist bekannt, dass jene Beamten, die als Erste am Tatort eintrafen, nach dem Öffnen der Hecktüren des Lkw das Ausmaß der Tragödie an ihre Vorgesetzten gemeldet haben.
Um sich ein Bild von der Lage zu machen, ist aus der Landespolizeidirektion (LPD) Eisenstadt der Auftrag an die Beamten ergangen, ein Foto aus dem Lkw zu machen und es sofort an die Diensthabenden weiterzuschicken. Das Bild wurde per eMail und WhatsApp-Nachrichtendienst an verschiedene und teils auch führende Beamte und Offiziere der LPD versendet. Später dürfte das schockierende Foto auch an Angehörige gesendet worden sein. „Es hat jedenfalls eine große Runde gemacht“, so ein Insider. Daher sei es mit einem enormen Aufwand verbunden, herauszufinden, wer es der Zeitung zugespielt hat.