Muslimische Frauen: "Misstrauen in die Politik ist groß"
Von Bernhard Ichner
"Wir müssen lauter werden, denn im Moment werden wir nicht gehört", erklären Carla Amina Baghajati und Zeynep Elibol. Mit "wir" meinen die Leiterin des Schulamts der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) und die Direktorin der islamischen Fachschule für soziale Bildung Musliminnen in Österreich. Diese seien unzufrieden mit der Stimmung im Land, fühlten sich gemobbt, entmündigt und bevormundet. Diskussionen über etwaige Kopftuch-Verbote beschäftigen sie ebenso wie der Kampf für mehr Mitsprache innerhalb der muslimischen Community. Darum will man nun mit der Deklaration "Musliminnen am Wort" - sozusagen dem muslimischen Pendant zum Frauenvolksbegehren - an die Öffentlichkeit treten.
In der Erklärung, die die Projektleiterinnen Baghajati und Elibol am 12. März präsentieren, pochen die Frauen auf ihr Selbstbestimmungsrecht. Sie sprechen sich gegen "eine Verbotspolitik auf unseren Köpfen" aus. Mit Projektionen auf das Kopftuch müsse endlich Schluss sein, heißt es in Richtung der Bundespoltik: Das Kopftuch bedeute nicht, dass eine Frau bevormundet werde, konservativ, fremd oder integrationsunwillig sei. Und es sei auch kein politisches Symbol oder gar Zeichen des "politischen Islam". Die Behauptung der Politik, Musliminnen vor Bevormundung schützen zu wollen, dürfe nicht zu deren Entmündigung führen. Denn was das Kopftuch ausdrücke, entscheide allein die Trägerin selbst.
Forderungen
Weiters müsse die österreichische Politik "die Erziehungsarbeit muslimischer Eltern anerkennen und mit diesen zum Wohl der Kinder kooperieren anstatt sie zu verunglimpfen". Ein Verbot des Kopftuchs im Volksschulalter wäre kontraproduktiv, meinen die Projektleiterinnen. Denn Eltern agierten heuer "viel reflektierter als früher". Heute wisse man, dass Mädchen Raum zur Entfaltung brauchen, so Baghajati. Den Kindern werde nunmehr vermittelt, dass sie das Kopftuch tagen können, wenn sie das wollen; dass es aber auch ok sei, wenn sie es wieder ablegen. Diese Strategie funktioniere gut. Ein staatlicher Verbot würde "den entspannten Umgang mit der Thematik jedoch zerstören und eine Jetzt-erst-recht-Reaktion auf Seite der Eltern provozieren".
Gefordert wird zudem eine Frauenpolitik, die Musliminnen auf Augenhöhe einbezieht. "Redet mit uns, nicht über uns", lautet das Motto. Und auch die Integration in den Arbeitsmarkt wird thematisiert. So müsse der Fokus auf der Qualifikation einer Frau liegen und nicht auf der Frage, ob sie ein Kopftuch trägt oder ob ihr Name ausländisch klingt.
Innerhalb der muslimischen Community fordern die Unterstützerinnen der Frauen-Deklaration die Verwirklichung der Beschlüsse der Imamekonferenzen von 2003, 2006 und 2010. Also unter anderem mehr Teilhabe und Mitsprache in den Verbänden sowie in den Gremien der IGGÖ. Zudem gelte es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Und Männer zu stärken, die sich für Frauenrechte einsetzen.
"Misstrauen in die Politik ist groß"
Rund 3000 österreichische Musliminnen unterstützen die Deklaration bis dato. Dass nicht noch mehr unterschrieben haben, liege am aktuellen Klima, berichten die beiden Projektleiterinnen. "Viele hatten Angst, dass mit ihrer Unterschrift etwas passieren könnte. Das Misstrauen in die Politik ist groß", erklären Baghajati und Elibol. Nachsatz: "Das müsste eigentlich ein Weckruf sein."
Die Erklärung, die in einem ersten Schritt medial verbreitet und IGGÖ-intern in den Gremien und Verbänden verbreitet werden soll, wurde aber keineswegs von einer kleinen Elite formuliert. "Die Deklaration wird zivilgesellschaftlich getragen", betont Baghajati. An der Formulierung der Forderungen und des eigenen Rollenverständnisses seien über mehrere Monate Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten und verschiedenster Ethnien beteiligt gewesen: politisch gebildete Intelektuelle ebenso wie solche, die zurückgezogen leben. Schülerinnen und Studentinnen genau wie Hausfrauen (die den Terminus ablehnen und sich selbst als Haushaltsmanagerinnen verstehen) und Seniorinnen.
Die Deklaration beinhalte daher nicht einen Stereotyp - also das Bild der muslimischen Frau, sondern einen roten Faden, auf den sich alle Teilnehmerinnen einigen konnten, betont Baghajati. So verstehen sich muslimische Schülerinnen und Studentinnen als Zukunftsträgerinnen; Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen sagen, sie seien Akteurinnen im Dienste des sozialen Zusammenhalts; Mütter rücken das Wohl ihrer Kinder in den Mittelpunkt und Lehrerinnen meinen, die Persönlichkeiten ihrer Schülerinnen zu stärken. Es gehe darum, „klare Position in einem säkularen Rechtsstaat zu beziehen“, um einen Prozess in Gang zu setzen.