Bergrettern platzt der Kragen: Leichtsinn gefährdet Einsatzkräfte
Der Einbruch der Dunkelheit naht bereits, als am späten Donnerstagnachmittag vier Freerider die gesicherten Pisten im Zillertaler Skigebiet Horberg verlassen. Trotz „großer Lawinengefahr“ (Stufe 4) fahren die Männer in den Tiefschnee hinaus. Und wieder einmal müssen Bergretter ausrücken und ihr Leben gefährden, um das Leben von Unbelehrbaren zu retten. Bei zwei Einsätzen hintereinander werden zunächst zwei Deutsche geborgen und später noch zwei Salzburger.
Vor allem das Verhalten der Österreicher macht Andreas Eder, Leiter der Ortsstelle Mayrhofen, am Freitag immer noch fassungslos. Denn von einem der Männer in selbst verschuldeter Alpinnot musste er sich auch noch anschnauzen lassen, wie er erzählt: „Wenn so etwas passiert, muss man irgendwann sagen, es reicht.“
Zunächst waren es die zwei Deutschen, 27 und 29 Jahre alt, die einen Notruf absetzten. „Sie waren zumindest kooperativ und so gescheit, stehen zu bleiben, wie man es ihnen gesagt hat“, berichtet Eder. Die zwei Salzburger hingegen wurden zwar von den Deutschen gewarnt, fuhren aber trotzdem weiter in Richtung einer Schlucht.
Streit mit Rettern
„Das ist wie eine Mausefalle“, beschreibt Eder das steile Gelände. Als die zwei Freerider aus dem Bezirk Zell am See schließlich auch die Leitstelle anrufen, nimmt der Bergretter Kontakt zu den 20-Jährigen auf. „Als ich mir dann die Frage erlaubt habe, warum sie bei Warnstufe 4 ins freie Gelände fahren müssen, habe ich zu hören bekommen, dass wir jetzt gefälligst schauen sollen, dass wir sie rausholen. Wenn jemand so unverantwortlich ist und in solche Hänge fährt, da gehören wirklich Strafen her“, fordert Eder.
Toni Mattle, VP-Vizelandtagspräsident und stellvertretender Leiter der Bergrettung Tirol, hatte wegen eines ähnlichen Falls bereits am Mittwoch gefordert, dass bei grober Fahrlässigkeit im freien Gelände Geldstrafen verhängt werden können. Denn mit derartigem Verhalten würden letztlich auch die Retter gefährdet.
„Aus Sicht des Alpenvereins halte ich nichts davon. Denn die Erfahrung zeigt, dass Strafen nicht dazu geeignet sind, Besserung herbeizuführen. Und der freie Skiraum ist der freie Skiraum“, sagt AV-Präsident Andreas Ermacora. Im Brotberuf Rechtsanwalt und Experte für Alpinrecht ist er überzeugt: „Die bestehenden Gesetze reichen aus. Die Forderung ist überzogen.“
Das Strafrecht bietet etwa die Möglichkeit, bei Gefährdung Dritter Anzeige zu erstatten. „Das kann zum Beispiel sein, wenn jemand im freien Gelände eine Lawine auslöst, die auf eine Piste abgeht“, erklärt Ermacora. In so einem Fall ist eine Anklage wegen „Gefährdung der körperlichen Sicherheit“ möglich. Ist eine größere Anzahl von Menschen betroffen, kann auch Paragraf 117 des Strafgesetzbuches greifen: Fahrlässige Gemeingefährdung. Bei Verurteilung droht bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe.
Wetterchaos in Österreich
Ermittlungen in Salzburg
Auf dieser Grundlage ermittelt die Staatsanwaltschaft Salzburg derzeit gegen drei Snowboarder. Die waren vergangenes Wochenende auf der Schmittenhöhe in Zell am See in einen Lawinenhang gefahren. Und zwar ausgerechnet, während Bergretter dort gerade von einer Gondel aus einen deutschen Snowboarder bargen, der im Freien biwakiert und überlebt hatte.
Doch anders als in diesem Fall, als die Helfer unmittelbar in Gefahr gebracht wurden, entscheiden sie ansonsten vor jedem Einsatz selbst, ob sie ihr Leben riskieren. Und damit greifen auch die beiden Strafrechtsparagrafen nicht. Die Bergretter können lediglich die Kosten für ihren Einsatz verrechnen.
„Dumme“ in Not
„Wenn jemand nicht unmittelbar Dritte gefährdet, sind die Kosten für den Einsatz Strafe genug“, findet der Wiener Strafverteidiger Werner Tomanek und hält deshalb wenig von der Forderung der Bergretter. „Retter müssen damit rechnen, dass sie auch Dumme retten müssen. Wenn jemand mit der Zigarette im Bett einschläft und es brennt, kommt ja auch die Feuerwehr“, sagt er. Und wenn sich Wintersportler selbst in Gefahr bringen, sei das zunächst so zu sehen, „wie wenn ein Besoffener alleine am Österreichring herumkurvt“.
Der Druck auf Bergretter, Menschen in Alpinnot zu helfen, ist im Tourismusland Österreich groß – genauso wie der Drang der Helfer, Leben zu retten. „Aber vielleicht sollten wir einfach einmal nicht ausrücken, wenn Leute so unverantwortlich sind. Wir können nicht alles riskieren“, sagt Eder.