Chronik/Österreich

Kritik an mangelnder Bahnsicherheit

Zug-Zusammenstöße, Geisterzüge, die völlig schief gelaufene Evakuierung eines deutschen ICE im Tunnel, vertuschte Unfälle, reihenweise verloren Bauteile auf der Tempo-230-Strecke. Kaum eine Woche vergeht ohne gröberen Vorfall im österreichischen Schienennetz.

Am Montagabend kollidierten erneut eine Schnellbahn und ein Güterzug bei Süßenbrunn an der Wiener Stadtgrenze. Verletzt wurde niemand. Vieles deutet darauf hin, dass der Schnellbahn-Triebfahrzeugführer ein Stoppsignal überfahren hat. Am gleichen Ort, nur eine Weiche daneben, kollidierten 1991 gleich drei Züge. Damals gab es vier Tote. Anschließend wurden die Signale überarbeitet.

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Nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich ist die Zahl der Bahnunfälle in Österreich zuletzt gestiegen – von 2014 auf 2015 etwa um 27 Prozent. Die Bilanz für das Vorjahr wird erst im Mai vorliegen. In den vergangenen Jahren wurde von den ÖBB versucht, die Schwere der Unfälle herabzuspielen. Erst vor einigen Tagen ist ein Zwischenbericht zu einem Vorfall mit einem verlorenen Kompressor in Wiener Neustadt im Ostermontag 2016 erschienen.

Erheblicher Sachschaden

Entgegen bisheriger Beteuerungen der ÖBB, das sei bei Schrittgeschwindigkeit passiert und es habe keine Entgleisung gegeben, hält das Papier fest: Die S-Bahn war mit 40 km/h unterwegs und das Triebfahrzeug ist mit allen Achsen entgleist. Der Sachschaden war erheblich, es gab Gleissperren und Züge fielen aus. Dass es keine Verletzten gab, dürfte an Zufall grenzen.

Noch schlimmer war die Lage beim Zusammenstoß in einem Tunnel am Semmering im Dezember 2015 – dort erfuhr die Polizei erst via Verkehrsnachrichten, dass sich 21 Waggons ineinander verkeilt hatten.

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Alle diese Vorfälle haben eines gemeinsam: Erst durch Medienberichte und teils umfangreiche Recherchen wurden sie bekannt und erst danach wurde entschieden gehandelt. So wurden die 26 baugleichen Schnellbahnen – wie jene, die den Kompressor verloren hat – vom Verkehrsministerium einer Sicherheitsüberprüfung zugeführt. Allerdings erst vier Tage nach dem Vorfall – genau nach dem ersten KURIER-Bericht dazu. Vieles deutet darauf hin, dass die Sicherheit derzeit nicht auf Schiene ist.

Noch im Jänner hatte Verkehrsminister Jörg Leichtfried auf eine parlamentarische Anfrage der FPÖ erklärt, dass das Sicherheitsmanagement bei den ÖBB in der jetzigen Form "ausreichend" sei.

Leichtfried zog Reißleine

Doch vergangene Woche zog Leichtfried die Reißleine. Mit der Auflösung der für die Untersuchungen zuständigen Bundesanstalt für Verkehr wird es künftig nicht mehr so sein, dass ausschließlich ÖBB-Mitarbeiter Vorfälle bei den ÖBB untersuchen werden. Denn tatsächlich prüfte die Bahn ihre Unfälle selbst – und wenig überraschend kamen dabei fast nie Versäumnisse von ÖBB-Mitarbeitern zu Tage. Ein "Privileg der Sorglosigkeit" nennt es Gewerkschaftsboss Roman Hebenstreit wenig schmeichelhaft.

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Jörg Leichtfried: "Es wird das System für ein effektives Sicherheitsmanagement als ausreichend angesehen."


Fall fürs Parlament

Noch lange ist nicht alles aufgearbeitet, was da in den vergangenen Jahren unter den Teppich gekehrt wurde. Neos-Abgeordneter Rainer Hable will nun eine große parlamentarische Anfrage dazu einbringen. Die Serie an verlorenen Bauteilen auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke bei St. Pölten etwa ist bis heute ein ungeklärtes Rätsel. Bei vielen Bahnunfällen sollen auch Handytelefonate während der Fahrt eine Rolle gespielt haben, berichten Insider. Das soll sogar aus Berichten gestrichen worden sein, heißt es.

Die Neuordnung der Unfallermittlungen durch Leichtfried und eine neue Transparenz der ÖBB in den vergangenen drei Monaten zeigt, dass vielleicht doch noch Licht am Ende des Tunnel sein könnte. Bahnsicherheit muss Chefsache sein.