Kriminalexperte: "Ein Amoklauf geschieht in blinder Wut"
Von Johanna Kreid
Nach Taten wie jener in Vorarlberg bleibt die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Der Experte Haller verfasste unter anderem Gutachten zu prominenten Kriminalfällen wie Jack Unterweger oder Franz Fuchs. Im KURIER-Gespräch erklärt er, was einen Amoklauf auslösen kann.
KURIER: Der Amoklauf in Vorarlberg forderte drei Tote und elf Verletzte. Wie kann es zu so einer Tat kommen?
Reinhard Haller: Da ich den Täter nicht kannte, kann ich diese Frage nur mit Vorbehalt beantworten. Nach den ersten Informationen spricht jedenfalls einiges dafür, dass es sich um einen sogenannten "echten" Amoklauf handelte.
Was versteht man unter einem echten Amoklauf?
Denken Sie an Schießereien in Schulen: Das sind meist keine echten Amokläufe, denn die Taten wurden im Vorfeld geplant. Der Amoklauf hingegen hat etwas von einem Anfall – er geschieht aus einer Stimmung heraus. Entscheidend ist: Er geschieht blindwütig.
Und dies dürfte auch in Vorarlberg so gewesen sein?
Ja, anscheinend hat der Mann blindwütig in die Menge geschossen. Das spricht für das Abnorme, für das Anfallartige. Es gab eine negative Vorstimmung – in diesem Fall scheint es der Streit mit einer Frau gewesen zu sein. Dann eskalierte die Situation. Und meist kommt es am Ende zum Suizid: Zwei Drittel dieser Taten enden mit einem Suizid.
Welche Rolle spielt die Persönlichkeit des Täters?
Freilich handelt es sich in der Regel um aggressive Persönlichkeiten. In diesem Fall – bei einer derartigen Veranstaltung – könnten etwa durchaus auch extremere Charaktere anwesend gewesen sein. Zudem werden Amokläufe fast ausschließlich von Männern begangen.
Ist es eher ein einzelnes Ereignis, das so eine Tat auslöst? Oder spielen mehrere Faktoren eine Rolle?
Es sind mehrere Faktoren: Die entsprechende Persönlichkeit. Oft werden Alkohol oder Drogen konsumiert, die bekanntlich enthemmen. Eine Kränkung kann das Fass zum Überlaufen bringen. Hätte der Täter die Frau attackiert, wäre es wahrscheinlich ein Eifersuchtsdelikt gewesen. Das ist der Unterschied zum Amoklauf: Da eskaliert die Situation und ein wahlloses Töten von Menschen beginnt.
Welche Rolle spielen Alkohol und Tatzeit? Der Amoklauf ereignete sich gegen 3 Uhr.
Es gibt das Phänomen der "Überwachheit", des "Überwachseins". In Kombination mit Alkohol oder Drogen kann das zur Eskalation beitragen. Der Tat geht aber immer auch Ärger voraus: Das kann eine aktuelle Kränkung, oder ein bereits länger andauernder Ärger sein.
Welche Rolle spielt der Besitz einer Waffe?
Hier muss man vorsichtig sein, da man noch nicht weiß, ob der Täter die Waffe selbst besessen hat. Grundsätzlich kann man fragen, warum jemand eine Waffe besitzt: Handelt es sich um eine misstrauische oder aggressive Person?Die Griffnähe einer Waffe ist natürlich entscheidend: Es gab auch im 18. Jahrhundert Amokläufe mit Schwertern oder Macheten. Aber damit konnte man weniger Schaden anrichten.
Dennoch sind Amokläufe sehr seltene Phänomene?
Absolut, sie geschehen nur äußert selten. Laut Statistik kommt auf zehn Millionen Menschen zirka ein Amokläufer.