Kein Winter, kein Schnee: Millionenwerte dahin
Iris aus Wien sitzt in der Nähe von New York fest. Aus dem Kurztrip am Ende der Weihnachtsferien wurde ein zweiwöchiger Aufenthalt. „Es gibt hier Schneemassen und Temperaturen, die ich noch nie erlebt habe“, erzählt die Touristin am Telefon. Ungläubiges Staunen am anderen Ende der Leitung, wurden in Reichenau an der Rax am Donnerstag doch 16 C gemessen. Schuld an dieser Temperatur-Diskrepanz ist Christina.
Christina ist ein riesiges Tiefdruckgebiet über dem Nordatlantik. Während die USA von der schlimmsten Kältewelle seit 20 Jahren heimgesucht wurden, – am Donnerstag normalisierten sich die Temperaturen allerdings wieder –, erleben die Europäer frühlingshafte Tage. Zwei Seiten der selben Medaille, erläutert der Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst.
Erklärung: Das aktuelle kräftige Island-Tief und Tiefs allgemein drehen sich im Kreis gegen den Uhrzeigersinn, wie ein riesiger Schaufelbagger schieben sie kalte polare Luftmassen nach Amerika, während auf Christinas Ostseite sehr milde Luft aus Südwesten nach Europa geleitet wird.
Derartige Wetterphänomene seien sehr stabil, sagt Christian Csektis von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Für den Winter-Tourismus eine gefährliche Drohung, schon jetzt ist der finanzielle Schaden enorm.
„Die Hotellerie in den Skigebieten hat im Dezember schätzungsweise ein Umsatzminus von fünf Prozent gemacht“, sagt Spartenobmann Klaus Ennemoser. Daran hätten auch die beschneiten Pisten in den großen Skigebieten nichts ändern können. „Es gibt ja auch Winterurlauber, die nicht zum Skifahren, sondern etwa zum Langlaufen kommen wollen“, nennt Ennemoser einen Grund.
Bilder: Tristesse in Österreichs Skigebieten
Schlechte Stimmung
Besonders bitter: Es sind vor allem auch viele kleinere Gemeinden von der Schneearmut betroffen. Denn jene Ortschaften, die seit Jahren unter der Abwanderung leiden, sind ganz besonders auf die Touristen angewiesen. Dazu zählt Annaberg in Niederösterreich. Im Vorjahr konnte sich Lifte-Chef Karl Weber noch über 97.000 Skifans freuen, heuer kann er von solchen Zahlen nur träumen. „Bisher sind es um ein Viertel weniger Skifahrer. Wir sind aber froh, dass uns zumindest die Skikurse nicht abgesagt haben.“
Schlechte Stimmung herrscht auch ein paar Kilometer weiter auf der Gemeindealpe in Mitterbach am Erlaufsee. Mehr als sechs Millionen Euro hat das Land in neue Pisten und Beschneiungsanlagen gesteckt. Doch jetzt stehen die Lifte still, nur ein paar Tourengeher sind von Schneefleck zu Schneefleck unterwegs. Für den Ort und die Betriebe hat das dramatische Folgen. 50 Prozent weniger Nächtigungen bedeuten für die Region einen enormen Rückschlag. Die Einbußen, so sind sich die Experten sicher, werden sich auch bei einer optimalen Wetterlage in den Semesterferien nicht mehr aufholen lassen.
Besser ist die Lage am Semmering. Derzeit können zwei Pisten befahren werden, berichtet Zauberberg-Marketingleiter Markus Merz. Man sei trotz der momentanen Umstände zufrieden, es kommen weiterhin Gäste aus dem In- und Ausland.
Während also in Nieder- und Oberösterreich die Schneelage mehr als bescheiden ist, können sich die Hoteliers im Süden die Hände reiben. „In Kärnten etwa sind die Bedingungen sensationell“, sagt Ulrike Rauch-Keschmann von der Österreich Werbung. Das Nassfeld und die Turracher Höhe locken mit traumhaften Pisten, auch in den großen Skigebieten im Westen kann problemlos gefahren werden.
Prognose
Die Chance auf kälteres Wetter in Österreich bietet sich erst Mitte nächster Woche. Am kommenden Wochenende normalisieren sich die Temperaturen, allerdings nur langsam. Im Bergland werden wir nur noch wenige Grade über null bekommen, auch in der Ebene sind die Werte nur noch einstellig, hieß es von der Prognoseabteilung der ZAMG. Am kommenden Montag wird das Wetter freundlicher, und am Dienstag trübt es sich wieder ein. In der Nacht auf Mittwoch könnte erstmals seit Langem wieder Schnee fallen und auch liegen bleiben.
Wie wirkt sich der milde Winter auf die Natur aus, wie reagieren Pflanzen und Tiere auf zweistellige Plusgrade im nominell kältesten Monat des Jahres? Der KURIER hat mit Experten gesprochen.
Fliegen die ersten Pollen bereits jetzt?
Ja. Hasel und Erle sind bereits blühbereit. Darauf weist Uwe Berger vom Pollenwarndienst hin: „Steigen die Temperaturen auf mehr als fünf Grad, fangen die ersten Sträucher an zu blühen.“ Und weil es eben so warm ist, beginnt auch die Pollensaison verfrüht. Spürbare Belastungen soll es im Großraum Wien ab dem 17. Jänner geben, im Westen ab dem 25. Jänner. Beruhigend für Allergiker: „Länger wird die Saison der Frühblüherpollen nicht. Sollte noch ein starker Frost kommen, könnten die Blüten vieler Erlen und Haselsträucher erfrieren. Wird es wieder warm, wird es dann weniger Pollen geben.“
Bleiben die Zugvögel jetzt da?
Einige, aber nicht alle. Vor allem bei den Kurzstreckenziehern wie Ringeltaube, Star, Hausrotschwanz, Heckenbraunelle oder Singdrossel bleiben Teile der Population in Österreich. Der Rest fliegt weiterhin in die Winterquartiere am Mittelmeer. Bei der jüngsten „Stunde der Wintervögel“-Studie wurden am Stadtrand weniger Vögel registriert als sonst um diese Jahreszeit, sagt der Ornithologe Norbert Teufelbauer von Birdlife Österreich. Erklärung: Durch den milden Winter sind am Land noch genügend Insekten vorhanden, um die Vögel zu ernähren. Die häufigsten Wintervögel in Österreich sind Haussperling und Kohlmeise. Die stabile Warmwetterperiode verleitet einige Arten wie die Ringeltaube auch dazu, früher mit der Balz und in der Folge mit der Brut zu beginnen. Auch unter den Langstreckenziehern stellen sich einige Arten um. Bei Langzeitvergleichen wurde festgestellt, dass einige flexible Arten heute um zwei Wochen früher eintreffen als noch vor 20 Jahren. Das hat Vorteile: Die Reviere sind noch unbesetzt, die Frühankömmlinge können sich die besten aussuchen. Auch die Beutetiere passen sich an die wärmeren Winter an, die typische Frühlings-Explosion der Insekten und Würmer wird ebenso vorverlegt.
Macht der Borkenkäfer jetzt mobil?
Von den derzeit milden Temperaturen lassen sich die Waldschädlinge noch nicht aus dem Winterschlaf reißen. Sie warten noch ab, bis die Sonne höher steht, ehe sie aktiv werden. Borkenkäfer etwa harren als Ei oder Puppe aus und unternehmen derzeit nichts. Wie es um den Borkenkäfer wirklich steht, wird sich erst im Frühjahr zeigen, wenn er zum ersten Mal ausfliegt. Im Gegensatz dazu könne der milde Winter aber den Bäumen schaden. „Die Bäume können nicht einfach abschalten, sie kommen nicht zur Ruhe“, sagt der deutsche Forst-Experte Jan Engel. „Bei diesem Wetter denkt der Baum, es geht schon los.“ Durch dieses Hin und Her werde der Baum geschwächt. „Sie verbrauchen ihre Reserven.“ Eine Folge könnte laut Engel sein, dass sich Nadelbäume nicht mehr gegen Schädlinge wehren könnten. „Die Nadeln haben dann keine Kraft mehr, es fehlen ihnen die Ressourcen.“ Hohe Luftfeuchtigkeit und Temperaturen fördern Pilzkrankheiten bei Bäumen und Sträuchern. Betroffen sind vor allem Buchen und Eschen.
Die meisten Täler im Westen Österreichs sind so grün wie der Prater in Wien. Die Seilbahnbetreiber geben sich dennoch gelassen. „Tirol, Vorarlberg und Salzburg haben eine hervorragende Pistenqualität, die auch ohne Neuschnee noch Wochen halten wird“, sagte Österreichs Spartensprecher Franz Hörl am Donnerstag bei einem Pressegespräch in der Axamer Lizum nahe Innsbruck. Problematisch sei der Schneemangel nur für kleinere Skigebiete. Die hätten nicht die finanziellen Mittel, derart in Beschneiung zu investieren, wie die Großen. Die zehren bis heute von dem Weiß, dass die Schneekanonen in zwei kalten Novemberwochen produziert haben.
Kunstschnee ist in Zeiten wie diesen Gold wert. Hörl macht das an einem drastischen Beispiel fest. Er rechnet vor, welches wirtschaftliche Desaster grüne Pisten im November und Dezember bedeutet hätten. „Österreichweit würden die Lifte rund 200 Millionen Euro Umsatz verlieren.“ Auf 300 Millionen Euro müsste die Hotellerie verzichten. Gastronomie und lokaler Handel hätten Einbußen von 260 Millionen Euro.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Österreichs Liftbetreiber in den vergangenen Jahren 800 Millionen Euro in die Beschneiung investiert haben. „Ohne wäre es nicht möglich, Tourismus auf so einem Niveau zu spielen“, ist Tirols Gemeindeverbandspräsident Ernst Schöpf überzeugt. Als Bürgermeister von Sölden weiß er auch: „Der Kunde schaut genau, wo er Schneesicherheit findet.“
Nichts kann er daher auch der Kritik von Tirols Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer abgewinnen. Der hatte moniert, das inzwischen bis auf 3000 Höhenmeter beschneit werde. Er forderte einen Erschließungsstopp im Hochgebirge. Das lehnt auch Richard Walter, Präsident der Tiroler Skilehrer, ab. „Dem Kunden ist egal, auf welcher Höhe ein Skigebiet liegt. Er will vom Gipfel bis ins Tal fahren.“
„Wir haben ein Schneeproblem, das können wir nicht schönreden“, sagt Tourismusobmann Hans Schenner. Tagesgäste und Kurzentschlossene kommen bei der aktuellen Witterung schlicht erst gar nicht auf die Idee, Skifahren zu gehen. Schenner: „Was wir brauchen, ist Schnee und damit Winterstimmung in den Städten.“ Für den Jänner rechnet Schenner mit einem Nächtigungsminus von „zwei, drei vielleicht sogar vier Prozent“. Abgefedert wird das magere Ergebnis von Gästen aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern, die bereits vor Monaten gebucht und nicht storniert haben.
Das Nächtigungsplus von 1,5 Prozent im November ist ein schwacher Trost. Der Auftaktmonat trägt nur sechs Prozent zur Wintersaison bei. Entscheidend für den Winter sei die Buchungslage in den Monaten Jänner und Februar, die gemeinsam für die Hälfte des Wintergeschäfts verantwortlich sind.
In einer market-Umfrage unter 500 Österreichern rechnen 32 Prozent damit, dass es im nächsten Jahr mit dem Wintertourismus bergab gehen wird. Gejammert wird aber auf hohem Niveau. „Es waren – mit Ausnahme vom Rekordwinter 2008 – noch nie so viele Skifahrer auf den Pisten wie im vergangenen Jahr“, sagt auch Rainer Ribing, Geschäftsführer der Bundessparte Tourismus.