Karate-Weltmeisterin macht Mädchen stark
Von Markus Foschum
Rimjhim Kumari ist zwölf Jahre alt und lebt in einem kleinen Dorf im südindischen Bundesstaat Bihar. Sie hat drei Geschwister und wohnt mit 22 Personen unter einem Dach. Vor zwei Jahren hat sich ihr Leben gravierend verändert. Denn seit zwei Jahren besucht Rimjhim Kumari eine Schule. Für Angehörige der unteren Kasten in Indien alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Dort, in der Schule der österreichischen Hilfsorganisation SONNE International, machte Rimjhim eine "einschlagende" Erfahrung – mit Karate.
"Sie hat mich voll begeistert. Sie ist engagiert und motiviert und hat alle Übungen immer mit vollem Einsatz gemacht. Und sie hat offensichtlich Talent dafür", sagt Alisa Buchinger. Die 25-jährige Salzburgerin kann das einschätzen, denn sie ist amtierende Karate-Weltmeisterin. Und sie engagiert sich als Patin für ein einzigartiges Hilfsprojekt im fernen Indien. Dort bietet SONNE International an ihren drei Schulen seit 2014 Karate-Selbstverteidigungskurse an. Vergangene Woche fuhr Buchinger nun nach Indien und trainierte mit "ihren" Mädchen.
Was, glaubt sie, kann sie damit erreichen? "Den Mädchen bringt es so viel. In erster Linie für ihr Selbstbewusstsein, das gestärkt wird. Dann für sie als Person, die im Ganzen gestärkt wird und wenn eine tatsächlich angegriffen wird (wir hoffen, das wird nie passieren), können sie sich wehren und wissen, wie sie stark bleiben", erklärt Buchinger. Sie war von der großen Akzeptanz überrascht: "Rimjhim ist vor einem Jahr nach Hause gekommen und hat gefragt, ob sie bei den Karatestunden teilnehmen darf. Und ihre ganze Familie hat gleich mit Ja geantwortet. Das finde ich sehr erstaunlich, weil Karate und Selbstverteidigung in Indien gar nicht üblich sind und noch weniger, dass man speziell den Mädchen solch ein Angebot ermöglicht." Und Buchinger fügt hinzu: "Am meisten hat mich gefreut zu hören, dass sie Karatelehrerin werden möchte, wenn sie groß ist."
Notwendige Hilfe
Das Training mit den Kindern, die Begeisterung, das Gefühl zu helfen – tolle Erlebnisse für die Weltmeisterin. Doch es gab auch andere Eindrücke: "Ich habe sehr schöne, aber auch nicht so schöne Erfahrungen gemacht. Indien ist noch immer ein sehr armes Land. Man begegnet Menschen, die Tag für Tag um ihr Leben kämpfen und versuchen, ihre Familien zu ernähren. Viele wohnen in Lehmhütten und können sich nicht einmal das Schulgeld für ihre Kinder leisten."
Riesiges Problem
Laut Angaben der indischen Regierung werde in Indien alle 20 Minuten eine Frau missbraucht, im Durchschnitt sterben täglich fünf indische Mädchen an den Folgen von Gewalt, erklärt Projektinitiator Armin Mösinger von SONNE International. "Diese Zahlen schockieren und motivieren uns, etwas dagegen zu unternehmen. Unter den Opfern sind überproportional viele Frauen und Mädchen aus der niederen Kaste. Belästigungen werden oft auch gar nicht angezeigt, weil sie die Ehre der Familie beschmutzen und anschließend kein Ehemann mehr gefunden wird", sagt Mösinger. Die selbstbewussten "Karate-Mädchen" ändern auch (schön langsam) die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. "Und wenn dadurch nur ein einziges Mädchen von einer Vergewaltigung verschont bleibt, hat sich das Engagement gelohnt", meint Mösinger.
Derzeit nehmen rund 120 Mädchen an den wöchentlichen Workshops teil. Förderung kommt vom österreichischen Sportministerium.