Ein Beweismittel auf Abwegen
12. November 2000, Tag 1 nach der Seilbahn-Katastrophe mit 155 Todesopfern: In den frühen Morgenstunden treffen Beamte des Innenministeriums in Kaprun ein. Es ist die Elite der Brandermittler von der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ), die sich auf die Suche nach der Brandursache machen soll. Die sechs Männer und eine Frau kommen auch mit großen Erwartungen an: Sie wollen Hauptgutachter im zu erwartenden Verfahren werden. Was ein lukrativer Auftrag wäre.
Beweismittel nach Wien
Tags darauf machen sie sich auf den Weg zum erhaltenen Gegenzug und bauen jenen Heizlüfter aus, um den sich bis heute – in der Frage der Brandursache – alles dreht. Sie verzichten darauf, wie sonst üblich, den Heizlüfter einzuschweißen – somit war das Beweismittel nicht mehr im Originalzustand (wg. möglicher Verschmutzungen, Anm.).
Im Laufe des Tages informiert die Untersuchungsrichterin (sie war damals für die Vorerhebungen zuständig, Anm.) die Ermittler davon, dass sie nicht zu Gutachtern bestellt werden können: Es dürften Beamte des Verkehrsministeriums, die den Zug geprüft und genehmigt hatten, angeklagt werden. Beamte des einen Ministeriums könnten aber nicht gegen Beamte des anderen Ministeriums ermitteln, jedenfalls nicht bei einer derartigen Katastrophe, die international im Fokus steht. Wenig später wird der Tiroler Brandsachverständige Anton Muhr zum Hauptgutachter bestellt.
Als Muhr am vierten Tag nach der Katastrophe in Kaprun eintrifft, fühlt er sich von den Brandermittlern aus Wien geschnitten. Dem KURIER erzählt er, dass in den folgenden Tagen nebeneinander statt miteinander ermittelt wird und keinerlei Austausch stattfindet. Am Ende der Woche fährt Muhr frustriert zurück nach Tirol. Auch die KTZ-Beamten reisen wieder ab nach Wien. Im Kofferraum das wichtigste Beweismittel: der Heizlüfter.
Heizlüfter: Die Bilder der "ersten Stunde"
Am 22. November, elf Tage nach der Katastrophe, fordert die Untersuchungsrichterin bei einem Treffen die KTZ-Beamten dazu auf, konstruktiv mit dem Gutachter Muhr zusammenzuarbeiten und ihm das Ermittlungsmaterial der ersten Tage zu übermitteln. Muhr erhält Pläne der Standseilbahn, die Zeugenaussagen der Überlebenden und kann einige Fotos der KTZ einsehen.
Weitere Unterstützung erhält er nicht, bis der Konflikt Ende Jänner 2001 eskaliert. Die Untersuchungsrichterin fordert den Leiter der KTZ schriftlich auf, "Ermittlungsergebnisse und allfällige Brandanalysenergebnisse (...) umgehend (...) zu übermitteln." Der KTZ-Chef antwortet postwendend: Man werde "nach Abschluss der Untersuchungen (...) in etwa drei Wochen" alles übermitteln. Am 13. März – noch immer wurde nichts übermittelt – kommt es zum endgültigen Bruch zwischen Hauptgutachter und den Ministeriumsbeamten. An diesem Tag erfährt Muhr, dass der Heizlüfter bereits im Dezember ins Landesgendarmeriekommando Salzburg gebracht wurde, aber niemand hat ihn oder die Untersuchungsrichterin darüber informiert. Erst vier Monate nach der Katastrophe hält der Hauptgutachter nun das Hauptbeweismittel in Händen. Am 3. August schließt Muhr sein Gutachten ab, ohne weitere Untersuchungsergebnisse aus Wien bekommen zu haben. Vor allem vermisst er chemische Analysen des Heizlüfters auf Ölrückstände, weil dieser unmittelbar vor Hydraulikölleitungen montiert gewesen ist.
Mini-Abschlussbericht
"155 – Kriminalfall Kaprun" von Godeysen/Uhl, edition a. 19,95 € www.155.at