Innsbrucker Forscher und Schüler untersuchen "Lebensraum Gründach"
Gründächer sehen gut aus, filtern Schadstoffe, wirken als Hitzeschild, dämpfen Lärm und halten Regenwasser zurück - sie gelten damit als optimal in Zeiten des Klimawandels. Ob bepflanzte Dächer auch einen Beitrag zur Biodiversität leisten, untersucht das dreijährige Sparkling Science-Forschungsprojekt "Lebensraum Gründach", für das ein Team der Universität Innsbruck um Johannes Rüdisser mit Tiroler und Vorarlberger Schülern sowie Partnern wie der inatura Dornbirn kooperiert.
Bis 2021 sieben Prozent der Landesfläche verbaut
Der Flächenfraß in Österreich ist enorm: Bis 2021 wurden laut Umweltbundesamt rund 5.800 Quadratkilometer verbaut, das sind sieben Prozent der Landesfläche. Ungenutzte Dachflächen nehmen in Städten 30 bis 50 Prozent der versiegelten Flächen ein, ihre Begrünung könnte daher wichtige Lebensräume schaffen. "Davon gehen wir aus, es gibt aber nur wenige Daten dazu", so Projektleiter Rüdisser vom Innsbrucker Institut für Ökologie. Die Vegetationsschicht auf extensiv begrünten Dächern ist oft nur 15 Zentimeter dick, Flora und Fauna müssen Trockenheit, Hitze und großer Nässe widerstehen. "Ein Gründach ist ein extremer Lebensraum, vergleichbar mit dem Hochgebirge oder einer trockenen Steppe", erklärt der Wissenschafter.
Forschungsteam will 1.000 Insektenarten finden
Dennoch erwartet das Forschungsteam dort weit über 1.000 Insektenarten zu finden, darunter Spezialisten, wahrscheinlich sogar erstmals in den Ländern dokumentierte Arten. Anfang Mai stellte das Projektteam Malaisefallen beim Vorarlberger Naturkundemuseum inatura Dornbirn auf, mit diesen Zeltfallen fängt das Team Fluginsekten. Der dortige Wiesenstandort und eine versiegelte Fläche dienen zum Vergleich mit dem Gründach des BORG Dornbirn Schoren, wo eingegrabene Sensoren Bodenfeuchte und Temperatur erfassen. Wetterstationen am Dach senden Daten, Kameras nehmen Bilder der Vegetation auf. Die gleiche Anordnung findet sich jeweils auf den Gründächern des Innsbrucker Gymnasiums in der Au, der Mittel-/Realschule Kleinwalsertal und auf dem 40.000 Quadratmeter großen Dach des Postlogistikzentrums Vomp.
Rüdisser macht sich gemeinsam mit den Schülerinnen Leonie Heemskerk und Nieve Zintl an einer der Fallen bei der inatura zu schaffen. Für die Betreuung der Fanggeräte auf den Schuldächern sind die Schüler zuständig, darunter die beiden Fünftklässlerinnen vom BORG Schoren. Im abgenommenen Ethanol-Behälter schwappt eine Biosuppe. Ausgewertet werden die Insekten mittels DNA-Metabarcoding. "Damit können tausende Lebewesen gleichzeitig bis auf Artebene bestimmt werden", erläutert die mit der Datenauswertung betraute Ökologie-Doktorandin Friederike Barkmann.
➤ Mehr dazu: Für ein besseres Raumklima: Blumen am Dach
Zum Projekt gehört, dass sie unter anderem diese Methode an den Schulen erklärt. Jugendliche kommen dabei direkt in Kontakt mit Forschenden, von denen sie vielleicht ein ganz anderes Bild hatten. Die Wissenschafter profitieren laut Rüdisser ebenfalls: "Ohne die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler ginge es nicht. Wir könnten nicht überall vor Ort sein. Die Zusammenarbeit erschließt uns die Dächer als Forschungsraum, und es ist spannend, welche Fragen die Schüler stellen. Wir wollen sie begeistern, ihnen zeigen, dass Wissenschaft Spaß macht und dass dort zum Beispiel auch Frauen arbeiten". "Sparkling Science" ist eine Förderschiene des Forschungsministeriums, in der wissenschaftliche Institutionen mit Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten.
➤ Mehr dazu: Der Park der Extreme: Dach am KaDeWe
Ein Funke ist dabei schon übergesprungen: "Es ist spannend und etwas ganz Neues. Toll, bei so einem Projekt dabei zu sein", findet Leonie, die vor allem interessiert, "ob solche Flächen in der Stadt wirklich was bringen". Nieve hat sich vorher mit dem Thema Biodiversität und ihrem fortschreitenden Verlust wenig beschäftigt. "Jetzt wird mir bewusst, was da eigentlich passiert", sagt die Schülerin. "Das Projekt eröffnet uns in der Vermittlung ein breites Feld", so ihr Biologielehrer Markus Nussbaumer. In praxisnahen Workshops entstehen Bewusstsein und Wissen zu Biodiversität, Klimawandel und Genetik. Zudem können die Schüler selbst Forschungsfragen stellen, die auch in vorwissenschaftliche Arbeiten einfließen. Die sieben Klassen aus drei Schulen werden ihre Resultate einander bei einem als Kongress gestalteten Wissenschaftsfest vorstellen.
Denn auf die Daten des Projekts haben sowohl die Forschenden vom Institut für Ökologie und dem Institut für Botanik als auch die Schulen Zugriff. Neben der Fallenbetreuung besteht der Beitrag der Kinder und Jugendlichen in der Durchführung von Messungen und dem Festhalten von Tier- und Pflanzenbeobachtungen, die sie über die per App zugängliche Plattform observation.org einspeisen.
Auf Daten aus dem Projekt für ihre Verbreitungsdatenbank freut sich auch Anette Herburger, Leiterin der Forschungsabteilung beim Projektpartner inatura. "Die Daten fließen zum Beispiel in unsere Rote Listen ein - ohne die Mitarbeit Interessierter hätten wir viele Informationen nicht. Zudem können wir mit dem Projekt unsere Funktion als Dokumentationszentrum für die Natur Vorarlbergs sichtbar machen. Eins unserer Ziele ist es ja, Forschung in die Gesellschaft zu tragen", so Herburger. Wer zuhause ein Gründach hat, kann sich ab Herbst übrigens selbst im Rahmen eines Citizen Science-Moduls an "Lebensraum Gründach" beteiligen und Beobachtungen einmelden.