Chronik/Österreich

IGGÖ-Präsident: "Wir würden radikale Imame sofort entlassen"

Es sind turbulente Tage für die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Sei es, weil ein muslimischer Verein in Wien hinter dem Rücken der Behörden eine private Imam-Schule betreiben soll; weil der Verfassungsschutz radikale Prediger in illegalen Hinterhofmoscheen festnahm oder weil der MInisterrat Nachschärfungen beim Islamgesetz beschloss. Im KURIER-Interview nimmt IGGÖ-Präsident Ibrahim Olgun dazu Stellung.

KURIER: Herr Präsident, die im Geheimen geführte Imam-Hatip-Schule in Wien-Liesing lässt die Islamische Glaubensgemeinschaft in keinem guten Licht erscheinen. Einige Funktionsträger der IGGÖ sind involviert. Und auf Facebook sind Fotos zu sehen, die Sie bei einem Besuch der Schule zeigen.

Ibrahim Olgun: Es handelt sich weder um eine konfessionelle Schule der Glaubensgemeinschaft, noch um eine Imam-Hatip-Schule. Betreiber ist ein Fachverein. Dessen Tätigkeit ist ein Fortbildungskurs für Muslime, die die Schulpflicht bereits erfüllt haben. Hierbei ist zu beachten, dass dieser Kurs seit einigen Jahren besteht, allerdings erst kurz vor der Nationalratswahl Aufsehen erregt. Für die Organisierung solcher Kurse ist die Zustimmung der IGGÖ nicht notwendig, da Fachvereine Körperschaften öffentlichen Rechts sind und ihre Aufgaben selbstständig verwalten. Die IGGÖ ist daher weder für die Aufsicht, noch für die Verwaltung dieses Kurses zuständig. Ich sehe aber kein Problem bei meinem Besuch einer islamischen Einrichtung als oberster Vertreter der Muslime in Österreich. Der enge Kontakt zu Muslimen gehört zu meinen Hauptaufgaben.

Warum ist es keine konfessionelle Schule, wenn dort theologische Inhalte vermittelt werden? Und hätte die IGGÖ nicht den Antrag auf staatliche Anerkennung stellen können?

Die Vermittlung von theologischen Inhalten allein macht einen Kurs nicht zu einer konfessionellen Schule. Die gesetzliche Bestimmung eines Fachvereins ist das Angebot von Fortbildungslehrgängen, die jedoch nicht den Pflichtschulbereich abdecken. Diese Aktivitäten obliegen dem Vorstand des Fachvereins allein. Die IGGÖ darf sich in die Aktivitäten des Vereins nicht einmischen, solange sie gesetzeskonform sind.

Die Optik ist aber bedenklich. Zumal gerade die Islamische Föderation in der Vergangenheit mit ihrem Plan, in Simmering eine Imam-Hatip-Schule zu eröffnen aneckte. Nicht zuletzt, weil man ursprünglich ein Kulturzentrum genehmigen ließ.

Natürlich ist eine nach außen hin kommunizierte Zielsetzung der Vorstände von hoher Wertigkeit. Sowohl bei der Gründung, als auch im Betrieb eines solchen Vereins ist Transparenz essenziell, um vertrauensstiftend arbeiten zu können.

Das Bildungsministerium strebt ja die Schließung der Schule an. Was meinen Sie dazu?

Eine Schließung wäre der falsche Weg. Es ist ja sowieso keine Schule, sondern lediglich ein Imam-Kurs. Ich bin nicht per se gegen Imam-Hatip-Schulen, solange sie verfassungskonform sind. Wenn wir Imame in Österreich ausbilden wollen, brauchen wir aber mehr als bloß ein vier- bis fünfjähriges Universitätsstudium oder solche Fortbildungskurse. Wir brauchen zusätzlich eine langjährige praxisorientierte Ausbildung. Unserer Ansicht nach wäre hier eine gemeinsame Beratung zwischen IGGÖ und Bildungsbehörden der konstruktivste Weg.

Apropos Imame. Zuletzt wurden in Wien und Graz radikale Prediger, die Muslime für den Dschihad rekrutiert haben sollen, festgenommen. Das waren zwar keine Imame der IGGÖ, aber können Sie für ihr Personal die Hand ins Feuer legen?

Diese Personen repräsentieren in keiner Weise die Imame der IGGÖ. Die Verhaftungen betrafen illegale Hinterhofmoscheen, die nicht bei uns registriert sind. Seit über 30 Jahren kämpfen wir mit unseren Imamen, in unseren Moscheen, mit unseren Religionslehrern und Seelsorgern für gesellschaftlichen Frieden und ein vielfältiges und tolerantes Islamverständnis. Natürlich kann ich also die Hand für sie ins Feuer legen. Würden unsere Imame radikalisieren, würden wir sie sofort entlassen. Wir vertrauen unseren Imamen natürlich – aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Deshalb werden wir unser Personal aufstocken und Beobachter zu den Freitagspredigten in die Moscheen schicken. Außerdem sind wir im ständigen Kontakt mit den Sicherheitsbehörden, die wir einschalten, wenn wir illegale Hinterhofmoscheen entdecken. Es ist schließlich Aufgabe des Staates, solche Vereine aufzulösen.

Themenwechsel. Sie wurden zuletzt kritisiert, weil Sie erst die Evolutionstheorie im Unterricht goutiert und sich nach Druck aus der Türkei davon distanziert haben sollen. Sie bestreiten diese Darstellung aber.

Das wurde medial komplett verzerrt dargestellt. Es begann mit einer Anfrage eines oberösterreichischen Mediums, in der man eine parteipolitische Stellungnahme zu Erdoğans Plänen, die Evolutionstheorie aus türkischen Schulbüchern zu entfernen, haben wollte. Wir geben aber keine politischen Statements ab. Darum habe ich lediglich geantwortet, dass im Islam Wert auf Wissenschaft gelegt wird. Ich habe die Evolutionstheorie aber weder verteidigt, noch die türkische Innenpolitik kommentiert. Das betreffende Medium hat es aber so dargestellt, als ob ich Stellung gegen die Türkei bezogen hätte. Und das wurde von türkischen Medien so übernommen. Darum hab ich letztlich versucht, das richtigzustellen – worauf mir unterstellt wurde, aus der Türkei sei Druck auf mich ausgeübt worden.

Und wie stehen Sie nun zur Evolutionstheorie?

Ich bin nicht gegen die Evolutionstheorie im Lehrplan. Sie wird ja sowieso unterrichtet. Aber natürlich beschäftigen wir uns im Religionsunterricht – wie andere Religionsgemeinschaften auch – mit unserer eigenen Glaubenslehre. Und die ist nicht im Einklang mit der Evolutionstheorie, weil sie die Schöpfung nicht akzeptiert. Aber natürlich beschäftigen wir uns auch mit anderen Anschauungen. Falls im Unterricht dazu Fragen kommen, beantworten wir sie selbstverständlich.

Kommen wir zum aktuellen Wahlkampf. Sie kritisieren, dass dieser auf dem Rücken der Muslime ausgetragen werde.

Ja. Gerade die österreichische Geschichte ist eine gute Erinnerung daran, wie eine bestimmte Glaubensgruppe ins Eck gedrängt wurde und was dann die Folgen waren. Das darf sich nicht wiederholen. Man sollte für kurzfristige Wahlerfolge keine langfristigen Schäden des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Kauf nehmen.

Sie sehen Parallelen zwischen der aktuellen Situation der Muslime in Österreich und der der Juden vor dem Zweiten Weltkrieg?

Die Schoah ist in ihrem Ausmaß einzigartig. Diese Schrecken dürfen sich nirgendwo auf der Welt wiederholen. Gleichzeitig müssen wir mit jeder Generation erneut eine große Lehre aus diesem Unheil ziehen, damit dies nie wieder stattfinden kann. Ein verantwortungsvoller Umgang mit unserer Geschichte ist ein Muss.

Im Ministerrat wurde diese Woche eine Nachschärfung des Islamgesetzes beschlossen. Was sagen Sie dazu?

So wie auch das Islamgesetz von 2015 basieren die Debatten um die Verschärfung des Islamgesetzes auf einer erneuten Sicherheitsdebatte, die kurz vor den Nationalwahlen stattfindet. Offensichtlich wollen sich viele Parteifunktionäre durch diese Debatten bei Wählern profilieren. Für uns ist das Gespräch auf Augenhöhe sehr wichtig, weshalb wir über den momentanen Umgang der Politik mit den Muslimen äußerst unzufrieden sind. Unser Appell geht an alle Parteien nicht über die Muslime in Österreich zu reden, sondern mit ihnen.

Ibrahim Olgun wurde 1987 in Mistelbach (NÖ) als zweiter Sohn eines türkischen Gastarbeiters geboren. Nach Matura und Bundesheer studierte er an der theologischen Fakultät der Universität Ankara. Er spricht Deutsch, Türkisch, Englisch und Arabisch. Olgun ist verheiratet und hat zwei Kinder.

ATIB-Mitarbeiter

Bevor er Fuat Sanac 2016 als Präsident der IGGÖ nachfolgte, arbeitete Olgun als Integrationsbeauftragter von ATIB. Zudem ist er Imam und als Fachinspektor für islamische Religion in Wien tätig.