Chronik/Österreich

Tausende Kärntner bei Bluttests erwartet

Mit einer weiteren Krisensitzung hat die Kärntner Landesregierung am Montag auf die Belastung durch das Gift Hexachlorbenzol (HCB) im Görtschitztal reagiert. Während derzeit von 261 Bauernhöfen Futtermittelproben gezogen werden, kann sich ab Ende der Woche auch die Bevölkerung untersuchen lassen. Wie berichtet, war in Milchprodukten und Fleisch aus der Region ein erhöhter HCB-Wert festgestellt worden.

Die Bluttests sind freiwillig und anonym. Vorab soll es Beratungsgespräche geben, betont Landessanitätsdirektorin Ilse Oberleitner. "Die Verunsicherung ist groß. Wir gehen aber davon aus, dass keine akute Gefahr für die Gesundheit besteht."

"Landwirte und ihre Familien haben Vorrang"


Die Beratung und Untersuchung der Bevölkerung – das gesamte Görtschitztal hat etwa 7000 Bewohner – findet in Abstimmung mit dem Roten Kreuz, den Amtsärzten und niedergelassenen Medizinern statt. Hauptzielgruppe sind Personen, die regelmäßig möglicherweise verseuchtem Material wie Heu oder Erde ausgesetzt waren. "Das sind in erster Linie Landwirte und ihre Familien. Sie haben Priorität", erklärt Oberleitner. Bei Kindern werde zudem überlegt, ob man gründlichere Untersuchungen als Bluttests durchführt.

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Die Landessanitätsdirektorin schätzt, dass in nächster Zeit bis zu 3000 Kärntner ihr Blut bzw. ihre Muttermilch untersuchen lassen. Die Tests, die in Zusammenarbeit mit der Uni Wien ausgewertet werden, seien eine große logistische Herausforderung. "Die Laborkapazitäten in Österreich sind beschränkt. Möglicherweise werden wir Labore in Deutschland beauftragen müssen."

Von der Umweltschutzorganisation Greenpeace, die vergangene Woche einen erhöhten HCB-Wert in Milch und Topfen der Sonnenalm-Molkerei nachgewiesen hat, wird die Maßnahme begrüßt. "Bluttests sind die einzige Möglichkeit, Anhaltspunkte zum Umfang der HCB-Belastung zu erlangen. Wir empfehlen die Untersuchung", sagt Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster.

Als Auslöser der Kontamination gelten die Wietersdorfer und Peggauer Zementwerke, die mit HCB versetzten Blaukalk bei zu geringer Temperatur verbrannten. Dabei gelangte HCB, das bis in die 1990er-Jahre als Getreidebeizmittel verwendet wurde, in die Luft. Im menschlichen Körper reichert sich das krebserregende HCB in der Leber an. Ob es zu Erkrankungen kommt, ist von der Dauer und Intensität der Belastung sowie vom Allgemeinzustand abhängig.

Kritik an LH Kaiser

In der Krisensitzung der Landesregierung wurde am Montag der von Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) eingeforderte Lagebericht beschlossen. Landesrat Gerhard Köfer (Team Stronach) verweigerte seine Zustimmung zu dem rund 100-Seiten-Konvolut, da er die Unterlagen erst zu Sitzungsbeginn erhalten habe. Landeshauptmann Peter Kaiser und Gesundheitsreferentin Beate Prettner (beide SPÖ) warf Köfer vor, schon seit dem 6. November von der HCB-Belastung gewusst und nichts unternommen zu haben. Auch Rupprechter hatte zuletzt das Krisenmanagement der Kärntner Landesregierung kritisiert.

Landeshauptmann Kaiser betonte, dass die Proben aus Kärnten aufgrund der prekären Lage bei allen Prüfanstalten bevorzugt behandelt werden. Bis Weihnachten sollten alle Untersuchungsergebnisse vorliegen. Die Kosten für die bisherigen Maßnahmen beziffert die Landesregierung mit einer Million Euro.

Das in Kärnter Milch nachgewiesene Hexachlorbenzol ist einer der zwölf Giftstoffe des sogenannten "Dreckigen Dutzend" (dirty dozen), die durch das Stockholmer Übereinkommen von 2001 weltweit verboten wurden. Die Chlorverbindung gilt als krebserregend und erbgutverändernd.

Hexachlorbenzol gehört zur Gruppe der polychlorierten Benzole. Anwendungsgebiete waren der Einsatz als Pestizid (Schädlingsbekämpfungsmittel) und Fungizid (Anti-Pilz-Mittel) zur Saatgutbeize (beides seit 1992 verboten), als Weichmacher und Flammschutzadditiv für Kunststoffe und Schmiermittel, als Flussmittel in der Aluminiumherstellung oder als Zwischenprodukt bei der Synthese von anderen Verbindungen (z.B. Farben), heißt es in einer Unterlage des Umweltbundesamtes. HCB entsteht auch als Nebenprodukt verschiedener (u.a. thermischer) Prozesse (Verbrennungsprozesse).

Von 1990 bis 2012 sind die HCB-Emissionen Österreichs um zirka 55 Prozent auf etwa 41 Kilogramm gesunken. Die größten Reduktionen konnten in der ersten Hälfte der 1990-er Jahre in den Bereichen Industrie (vor allem in der Eisen- und Stahlindustrie), beim Kleinverbrauch sowie durch das Verbot bestimmter gefährlicher Stoffe in Pflanzenschutzmitteln erzielt werden. Die noch vorhandenen Emissionsmengen stammen aus Verbrennungsprozessen.

SPÖ-Konsumentenschutzsprecher Johann Maier wies 2011 darauf hin, dass in jeder fünften Silvesterrakete das krebserregende Hexachlorbenzol enthalten ist. 2009 wurden Hexachlorbenzol-Rückstände in steirischem Diskont-Kürbisöl nachgewiesen.

Hexachlorbenzol ist auch deshalb so gefährlich, weil es sich im Körper anreichern kann, sehr giftig und vor allem auch sehr langlebig ist.