Chronik/Österreich

Gery Keszler: "Ich habe auf ein Wunder gehofft"

Viele Jahre gab es einen unglaublichen Hype um den Life-Ball. Doch nun hat Organisator Gery Keszler überraschend das Aus verkündet. Im KURIER-Interview zeigt er sich selbstreflektiert. Trotz des Endes überwiegen bei Keszler aber die zahlreichen schönen Momente des Life Balls und die Botschaft, die von Wien in die Welt hinaus getragen wurde.

KURIER: Herr Keszler, 48 Stunden sind seit der Bekanntgabe vergangen, dass der Life Ball 2019 zum letzten Mal stattfinden wird. Was fühlen Sie?

Gery Keszler: Ich bin traurig, aber fühle mich auch ob der Entscheidung erleichtert. Jetzt gilt es für mich und mein Team, am 8. Juni einen emotionalen und wunderschönen letzten Life Ball zu organisieren.

Sie fühlen sich erleichtert. Sollte nicht Wehmut vorherrschen?

Ich fühle vor allem Dankbarkeit. Dankbarkeit für 27 Jahre, in denen so viel erreicht wurde: 170 unterstützte Aidshilfsprojekte im In- und Ausland. Und wir waren ein Sprachrohr für ein weltoffenes Wien. Das Aus ist ein Faktum, mit dem ich mich arrangieren muss. Ich hätte unheimlich gerne erlebt, dass der Grund für das Ende des Life Balls der Sieg über HIV ist, und nicht, weil er undurchführbar wurde. Trotzdem habe ich bis zuletzt auf ein Wunder gehofft, dass es weiter geht.

Es heißt, Gery Keszler sei keine unkomplizierte Persönlichkeit. In diversen Medien steht, die Sponsoren hätten sich mehr Kooperationswillen gewünscht und seien abgesprungen. Waren sie zu schwierig?

Der Life Ball ist keine One-Man-Show. Bei einer Marketingkooperation versucht jeder das Maximale für sich heraus zu holen. Ja, ich bin ein extrem hartnäckiger Mensch und kämpfe für eine Sache. Dass das jedoch nicht immer nur reibungslos geht, ist selbstverständlich.

Aber Sie werden zugeben, dass Sie eine polarisierende Persönlichkeit sind...

Ich polarisiere, weil ich immer nach dem Maximum strebe und mich mit Durchschnitt nicht zufrieden gebe. Weil ich oftmals zu ungeduldig bin, um Visionen durchzusetzen. Mit den Meilensteinen, die ich erreichen will, bin ich oft zu schnell und lasse viele nicht mitkommen. Böse Absicht steckte nie dahinter. Aber meine Energie fasziniert viele Menschen auch und treibt sie an.

Hat Ihre Forschheit möglicherweise verbrannte Erde hinterlassen, die dem Life Ball geschadet hat?

Wir haben sehr gewissenhaft gearbeitet und sind uns keiner Schuld bewusst. Es sind ein paar einschneidende Situationen passiert, die einen Dominoeffekt ausgelöst haben. Ich staune selbst, wie leicht so was bei einem Projekt geht, das 25 Jahre eines der Aushängeschilder der Aids-Hilfe war.

Sie haben 2016 eine Kreativpause eingelegt. War das ein Fehler? Sprangen in diesem Jahr zu viele Sponsoren ab?

Das Jahr 2016 war rückblickend betrachtet folgenschwer. Wir sind das ambitionierte Ziel angegangen, neben dem Fundraising ganzjährig massiv Awareness zu schaffen. Dies ist uns auch mit den Kampagnen, allen voran mit dem Starfotografen Peter Lindberg, gelungen. Das Konzept der Neuausrichtung des Life Balls wurde ebenfalls extrem positiv aufgenommen. Statt der überhandnehmenden Fokussierung auf Celebrities und das Spektakel stand wieder die Botschaft im Mittelpunkt. Der Life Ball wurde wieder ein kräftiges Zeichen für seine Anliegen und Themen. Allerdings haben wir im Jahr der Neufokussierung unsere finanziellen Reserven strapaziert. Die nationalen und internationalen Projekte wurden ohne der Einnahmequelle Life Ball in gewohnter Höhe weiterhin unterstützt. Ich habe damals sogar meine Dancing-Stars-Gage gespendet, damit wir das Jahr überstehen. Nach der Pause haben wir unser Schicksal in die Hand eines Pharmaunternehmens gelegt, weil hier eine Spende kam, die der Life Ball in seiner ganzen Geschichte nicht hatte. Im Dezember 2018 bekamen wir überraschend eine Absage von der neuen Marketingleitung in London, die Gelder werden für Projekte der Elton John Aids Foundation verwendet. Das war eine Schockstarre für uns. Mittlerweile wurde uns ein kleinerer sechsstelliger Betrag zugesichert. Im Frühjahr erst kam die Nachricht, dass die Austrian das Flugzeug nicht mehr zur Verfügung stellt, obwohl die entstehenden Kosten dafür stets von Wien Tourismus, Red Bull und dem Flughafen Wien getragen wurden. Das war ein Nullsummenspiel für die Austrian und sie hatten im Gegenzug einen enormen Werbewert. Diese Entscheidung stellt uns bis heute vor ein schier unlösbaren Problem, die prominenten Gäste und Journalisten nach Wien zu holen. Das Absurde an der Situation ist: Wir befinden uns bei HIV- und AIDS in einer Zielgeraden. Gerade diese Zielgerade ist schuld daran, dass es für Unternehmen scheinbar nicht mehr sexy ist, sich für HIV/AIDS zu engagieren.

Warum ist die Austrian abgesprungen?

Das wüsste ich auch gerne. Ich habe keinen Termin beim Vorstand bekommen.

Das klingt nach Krise. Aber muss deswegen gleich das Aus kommen?

Ich habe bei allen angeklopft und bereits letzten Sommer auf die instabile Situation bei mehreren Stellen aufmerksam gemacht. Mir wurde aber nicht geglaubt. Es hieß, ich übertreibe. Seit 2008 bekommen wir 800.000 Euro öffentliche Förderung. Aber die Kosten haben sich enorm erhöht. Ich wollte diese Krise auffangen, aber es ist mir nicht gelungen. Während die Finanzierung schwieriger wurde, sind die Kosten gestiegen: Jene für Sicherheit etwa hatten sich nach den Terroranschlägen in Berlin und Nizza vervielfacht, von etwa 80.000 auf 270.000 Euro. Wir haben auch viele Posten, die wir an die Stadt Wien zurückzahlen. Die Behördenwege haben vor drei Jahren noch 5.000 Euro gekostet, jetzt kosten es 31.000 Euro. Wir sind in eine Situation gekommen, die erstaunlicherweise zeigt, wie selbst so ein riesiger Apparat durch solche Einflüsse ins Wackeln kommen kann.

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Fürchten Sie sich vor dem Moment, wenn die Lichter beim Life Ball ausgehen?

Noch kann ich mir diese Situation nicht ausmalen, aber ich werde lernen damit umzugehen. Für den Life Ball habe ich mein letztes Hemd gegeben. Ich habe auch keine finanziellen Rücklagen und keine Zukunftspläne. Die Sinnhaftigkeit der Sache treibt mich an. Diese habe ich den vergangenen Monaten leider resignierend in Frage stellen müssen. 50 Prozent der Gesamteinnahmen sind für den Aufwand verwendet worden. 50 Prozent gingen als Reinerlös an die Organisation, um Projekte zu finanzieren. Wenn der Event aber immer teurer wird, geht das auf Kosten der Projekte. Wenn die Relationen so verschoben werden, dann geht das Ganze in Richtung Selbstdarstellung, und das braucht keiner.

Auch Gery Keszler steht vor einem Neuanfang?

Ich freue mich auf die Zeit, ein bisschen durchatmen zu können. Das letzte Jahr war Raubbau an meinem Körper, ich habe zugenomme, fühle mich geschwächt. Jetzt will ich nur gut zu mir selber sein. Aber keine Angst, ich werde nicht Bauer im Burgenland. Wenn man so will, bin ich wieder am Markt.

Was war der emotionalste Moment bei Life Ball? Ihr persönliches Outing, dass Sie sich als junger Mann infiziert haben?

Es gab viele emotionale Momente. Das war eine spontane Aktion, weil ich von der Oberflächlichkeit betroffen war. Wenn du den Präsidenten von UNAIDS in Wien hast, der eine Botschaft anbringen will und das Publikum eine Minute still sein müsste, aber das nicht tut, dann ist das frustrierend Es waren einfach die Geister, die ich rief. Der Ball basiert darauf, das Leben zu feiern und glamourös zu sein. Spaß und Lebensfreude spielen eine große Rolle. Da bin ich gerne dabei. Aber wenn es in blanke Oberflächlichkeit übergeht, werde ich emotional.

Es klingt schon mehrmals durch, dass Sie die Oberflächlichkeit des Balls gestört hat. Gesetzt den Fall, Sie könnten die 26 Jahre zurückdrehen: Würden Sie den Event anders aufsetzen?

Der Ball ist ein Konzept, das nach wie vor Berge versetzt. Deswegen finde ich den Ball in seiner Dimension, in seiner Qualität, in seiner Ausrichtung richtig und wichtig. Wir wollten nur nicht auf diese eine Nacht reduziert werden.

Aber das ist nicht gelungen ....

Das ist richtig. Ein gutes Beispiel ist das Life+ Celebration Konzert. Jedes Mal stehen Netrebko, Kaufmann & Co. auf der Bühne. Aber weil es in der Nacht vor dem Life Ball stattfindet, passiert es mehr oder weniger unbeachtet. Der Life Ball überstrahlt selbst diese außergewöhnliche Veranstaltung.

Helmut Zilk hat Ihnen den Ball 1993 ermöglicht. Michael Häupl hat den Ball weiter getragen. Jetzt ist Michael Ludwig das erste Jahr Bürgermeister. Orten Sie nun eine andere Haltung gegenüber dem Life Ball ...

Ich bin Helmut Zilk für seinen Mut extrem dankbar, dass er vor 27 Jahren das Rathaus für so einen Ball geöffnet hat. Er hatte auch die Vision, dass dieses Pflänzchen wachsen wird. Denn er hatte selbst eine Armada an Zweiflern an seiner Seite. Michael Häupl hat es dann über zwei Jahrzehnte weitergetragen. Über den neuen Bürgermeister kann ich zu wenig sagen. Ich hatte nur einen einzigen offiziellen Termin für mein Anliegen.

Gibt es noch eine Hoffnung, dass nun eine Welle der Solidarität entsteht und der Life Ball weitergeht?

Den Life Ball wird es nicht mehr geben. Für das Fundraising gibt es momentan eine Welle der Solidarität, sodass wir die internationale Projekte ein weiteres Jahr unterstützen können. Das ist eine schöne Nachricht für mich und mein Team. Es sind wohlhabende Freunde, die aus eigener Tasche nicht unwesentliche Beträge spenden wollen.

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