Chronik/Österreich

Flüchtlinge: Afghanistan laut neuem Gutachten nicht sicher

Ein neues Gutachten von der deutschen Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann im Auftrag des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (Deutschland)   sorgt bei österreichischen NGOs für Aufsehen.

Denn während die EU sowie auch der umstrittene österreichische Gerichtsgutachter Karl Mahringer zu dem Schluss kommen, dass die Sicherheitslage in Teilen Afghanistans, etwa in Kabul, stabil sei, ist ihre Einschätzung: „Die Gefahr, allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, besteht im gesamten Staatsgebiet.“ Auf rund 350 Seiten legt die Expertin die Lage in dem Land am Hindukusch dar. Klar erklärt sie auch, dass nicht davon auszugehen sei, dass alleinstehende, junge und  im Westen abgelehnte Asylwerber ohne Hilfe von Freunden und Verwandten Arbeit oder Unterkunft finden – eine Argumentation, die etwa Gutachter Mahringer vertritt. Die Rückkehrer dürfen laut dem Gutachten aber auch nicht automatisch mit Hilfe von Freunden und Verwandten rechnen.

Die Erkenntnisse Stahlmanns sind Wasser auf den Mühlen der Flüchtlingshelfer. Denn, so die vorherrschende Meinung, müsste eigentlich nun in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die abgelehnten Asylwerber ein Unterstützungsnetzwerk haben und ob dieses überhaupt in der Lage wäre, ihnen zu helfen.

Wie sich das Gutachten auf die Beweiswürdigung heimischer Asylverfahren auswirkt, ist laut  UNHCR (Flüchtlingshochkommissariat der UNO)  unklar. Es könne auch in Österreich  von  Behörden sowie von Rechtsvertretern herangezogen werden.

Mit dem schärferen Kurs gegen abgelehnte Asylwerber nahm hierzulande zuletzt auch die Zahl der Abschiebungen zu. Im Vorjahr wurden 6910 Personen zwangsweise abgeschoben, 5064 reisten freiwillig aus. Insgesamt 703 Personen kehrten nach Afghanistan zurück. Wie viele Personen im ersten Quartal 2018 abgeschoben wurden, beantwortete das Innenministerium trotz mehrmaliger Anfrage nicht. Gleichzeitig gingen die Zahl der Asylanträge seit 2016 um 43 Prozent zurück, 2017 wurden 24.296 Anträge gestellt. Von Jänner bis März 2018 waren es 3992.  Zu Jahresbeginn waren 31.500 Verfahren  offen.

Amnesty

Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty Österreich ist das Gutachten eine Bestätigung der eigenen Lage-Einschätzung. „Die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan ist so instabil, dass es derzeit keine Abschiebungen geben darf. Denn Afghanistan ist nicht sicher“, sagt Geschäftsführerin Annemarie Schlack. „Die Qualitätssicherung in unserem Justizsystem betrifft alle Menschen in Österreich. Es gibt fundierte Gutachten von Sachverständigen mit einem klaren Ergebnis, die für rechtstaatliche Entscheidungen herangezogen werden können. Diese Qualität verlangen wir auch von den österreichischen Behörden und Gerichten.“

Die NGO sprach zuletzt von „Asyl-Lotterie“. Bulgarien erkannte 2016 etwa 1,7  Prozent der Asylanträge von Afghanen an, Italien 97 Prozent. EU-weit lag der Schnitt 2015 noch bei 68 Prozent, im Dezember 2016 nur noch bei 33 Prozent. In Österreich liegt die Quote bei 47 Prozent. Generell gibt es derzeit europaweit die Tendenz, Afghanen abzuschieben.

Pilz will Flüchtling helfen

Diese sorgen immer wieder für Aufregung. Aktuell setzt sich sogar der ehemalige Grün-Politiker und Listen-Gründer Peter Pilz für einen jungen Mann ein, der trotz Integration und Ausbildung abgeschoben wird. Sein Bruder war zum Christentum konvertiert und erhielt Asyl. Bei der Abschiebung von A. befürchtet Pilz, dass dem Afghanen in seinem Heimatland der Tod drohe. Der Mann war bereits in Schubhaft genommen worden, am Montag nach einer Schubhaft-Verhandlung allerdings enthaftet worden. Nur um noch im Gericht von Beamten des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl neuerlich in Haft genommen zu werden. Seine Abschiebung war laut Unterstützern für Mittwoch geplant.

Für die Neos ist das in Hinblick auf das aktuelle Gutachten ein Unding. "Im Vergleich zu dem ausgezeichneten Stahlmann-Gutachten wirkt jenes von Mahringer wie ein Schulaufsatz", sagt Neos-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper. In den aktuellen Verfahren würde der Rechtsstaatlichkeit nicht Genüge getan. "Wir werden nun mit Argusaugen beobachten, ob es herangezogen wird."

Anfrage zu angeblichen "Abschiebelisten"

Das nützt A. wohl nichts mehr. Dennoch wollen sich die Neos die Causa ganz genau anschauen. Denn: „Es häufen sich Berichte, dass seit Beginn des Jahres Entscheidungen in Asylfällen plötzlich auf Kabinettsebene an den zuständigen Dienststellen vorbei getroffen werden", sagt die Politikerin. Angeblich, so Krisper, würden gar sogenannte "Abschiebelisten", kursieren, bei der eine notwendige Einzelfallprüfung unterbleibt. "Wir möchten daher mit einer parlamentarischen Anfrage in Erfahrung bringen, ob auch die neuerliche Inhaftierung von A. von "ganz oben" angeordnet wurde und ob ein solches Vorgehen üblich ist.“ Eine Stellungnahme des Innenministeriums stand noch aus.