Chronik/Österreich

Experten empfehlen mehr Bildung gegen den Pflegenotstand der Zukunft

Um 1900 hatte Wien eine Bevölkerungsstruktur wie das heutige Kenia. Viele junge Menschen unter 30, wenige alte Menschen. Mittlerweile hat sich das Bild gewandelt. Die Bevölkerung wird immer älter, mit weitreichenden Folgen für Wien, aber auch ganz Österreich.

Die Forschungsplattform „future.monitor“, initiiert von der Industriellenvereinigung (IV), dem roten Kreuz und der WU Wien, berechnete Szenarien für das Jahr 2050 und kam dabei zu Prognosen, die dringenden Handlungsbedarf aufzeigen.

Wird nichts unternommen, werden in Österreich im Jahr 2050 fast eine Million Menschen pflegebedürftig sein (siehe Grafik). Mehr als ein Viertel davon in Wien. „Es stellt sich daher die Frage, was wir jetzt tun müssen, um nachher im Alter weniger Hilfe leisten zu müssen“, sagt Robert Dempfer, Experte für Gesellschaftspolitik beim Roten Kreuz.

Länger arbeiten

Um sich das Altern leisten zukönnen, werden die Österreicher in Zukunft moderat länger arbeiten müssen. Auch die Frauenerwerbstätigkeit müsse steigen, erklärt Christian Friesl, Leiter des Bereichs Gesellschaftspolitik in der IV. Nichtsdestotrotz: Immer weniger Menschen werden immer mehr erhalten müssen. „Diese Schultern gilt es zu stärken“, sagt Friesl.

Für Studienleiter Wolfgang Lutz von der WU Wien geht das nur über mehr Einsatz in der Bildung. „Anstatt etwa darüber zu jammern, dass es zu wenig Kinder gibt, sollte man die vorhandenen besser ausbilden“, sagt Lutz.

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Höhere Bildung hat nämlich gleich mehrere Effekte. Einerseits sind die Einkommen und damit die Beitragszahlungen höher, andererseits investieren gebildete Bürger auch mehr und früher in ihre Gesundheit – mit großen Folgen: „Bei Menschen mit Pflichtschulabschluss ist der Pflegebedarf ab dem 70. Lebensjahr doppelt so hoch wie bei Akademikern“, erläutert Lutz.

Auch bei der Einwanderung sollte Wert auf Bildung gelegt werden: „Besser gebildete Einwanderer sind viel schneller in eine Gesellschaft integriert“, sagt Lutz. Zugleich brauche es eine Bildungsoffensive für junge Migranten, die schon da sind. Das betrifft vor allem Wien, wo die meisten Migranten leben. 23,3 Prozent der Wiener haben nur einen Pflichtschulabschluss.

Das große Vorbild für die Experten ist Finnland. Das Land im Norden gibt ähnlich viel für Bildung aus wie Österreich. Dennoch liegt Finnland bei der PISA-Studie weit vor Österreich. Hauptgrund dafür sei die heimische Bürokratie. Es benötige daher dringend Reformen wie eine Gesamtschule, mehr Betreuung und mehr Verantwortung für Lehrer, fordert Lutz: „Denn in Österreich kommt derzeit nur jeder zweite Euro bei den Schülern an.“