Allergen-Verordnung: "Das Gesetz ist für A und F"
Von Monika Payreder
Gegen Lund, den Hund, sollte man nicht allergisch sein, der gehört quasi zum Inventar. Aber grundsätzlich darf man im Allergiker Café in der Wiedner Hauptstraße in Wien schon sehr intolerant sein – was Nahrungsmittel betrifft. Wie etwa Mariella B.: "Ich vertrage nichts", sagt die 52-Jährige. "Kein Histamin. Kein Gluten. Keine Fruktose. Keine Lactose. Nichts."
Frau B. zählt zu den Menschen, die an einer Lebensmittelallergie oder -unverträglichkeit leiden. Für Allergiker kann falsches Essen im schlimmsten Fall tödlich sein. Verlässliche Daten, wie viele Österreicher betroffen sind, gibt es nicht. "Geschätzte 2 bis 4 Prozent der Erwachsenen leiden unter einer Lebensmittelallergie", sagt Andrea Hofbauer, die Präsidentin des Verbandes der Diätologen Österreich. Die Zahl jener, die Intoleranzen haben (oder zu haben glauben), soll noch weit höher sein. Die EU hat jedenfalls beschlossen, dass ab sofort überall, wo Essen (offen) verkauft wird, für Konsumenten klar ersichtlich sein muss, welche Allergene (siehe Grafik) drin sind. In der Bäckerei, im Haubenlokal, am Würstelstand.
Dass das nicht alle Wirte machen, ist klar. "Dass aber alle jetzt die Allergene in den Speisekarten anführen müssen, ist eine enorme Erleichterung für mich als Betroffene", sagt Rothaug. "Wenn du eine Allergie oder eine Unverträglichkeit hast, wirst du ohnehin gern als hysterische Zicke angesehen. Und wenn man noch wagt, den Kellner zu fragen, was genau da drin ist, gilt man schnell als Quälgeist."
Die Allergikerinnen B. und Rothaug "verstehen, dass die Umstellung ein zusätzlicher Aufwand" für die Wirte ist. "Die müssen schließlich für alle Essen schauen, was drin ist, ich nur für meine Portion", sagt Mariella B. "Aber das ist ja das Gute", meint Rothaug. "Dass sich der Wirt damit beschäftigen muss – vielleicht schaut er dann ja mehr drauf, welche Zutaten in welcher Qualität er verwendet." Die große Aufregung verstehen die Damen nicht. "Das machen die Wirte ein Mal und dann haben sie ihre neue Speisekarte und alles passt."
"I bin jo ned deppert"
So einfach sei das leider nicht, sagt Wirtin Klingsbichl. Ursprünglich wollte sie ja die Möglichkeit nutzen, ihre Gäste mündlich über die Allergene zu informieren. Wenn man das macht, erspart man sich das Umschreiben der Karte, muss aber dafür sorgen, dass immer ein entsprechend geschulter Mitarbeiter im Lokal ist. "Das mach’ ich sicher nicht", sagt Frau Silvia. "I bin jo ned deppert – die Kellnerin steht ja dann eine Viertelstunde beim Gast."
Und um die Dokumentation komme man ohnehin nicht herum. "In der Küche muss ja auch alles festgeschrieben werden", erklärt die Wirtin. "Jede Rezeptur, jede Zutat muss immer aktuell, korrekt und vollständig dokumentiert sein. Wenn also beim Tagesmenü die glutenfreien Nockerln zur Schwammerlsauce ausgehen, dann muss ich vorher die Karte umschreiben, bevor ich normale Nudeln zu den Schwammerln servieren darf!"
"Wir haben als Serviceleistung für alle eine kostenlose Online-Rezept-Plattform entwickelt", sagt Thomas Wolf, Geschäftsführer des Fachverbands Gastronomie in der Wirtschaftskammer. "Mit dieser ist die Erfassung der Zutaten und die Dokumentation der darin enthaltenen Allergene ganz einfach."
Einfach oder nicht – machen müssen es die Wirte sowieso. Denn bei Verstößen drohen bis zu 50.000 Euro Strafe, im Wiederholungsfall sogar 100.000 Euro. "Dann kann ich aber zusperren", sagt Frau Silvia, die dabei bleibt: "Das ganze Gesetz ist für A und F. So was kann nur Leuten einfallen, die nie in der Gastronomie gearbeitet haben. Oder denen die Lebensmittel-Lobby, die noch mehr von ihren Fertigprodukten verkaufen will, im Gnack sitzt."
Gastwirte rebellieren. „Findet der Gast im Essen Eier – kommt’s dem Wirten ,deier‘.“ „Der Gastwirt hinter Gitter geht – wenn nicht Schalenfrüchte auf seinem Pesto steht.“ Oder: „Isst du Würstel mit viel Senf – plagen dich ganz schlimme Krämpf’.“ Gastwirt Christian Straus aus Zwettl (Niederösterreich) hat in seinem mexikanischen Restaurant „El Struz“ einen humorvollen Weg gefunden, um einerseits seinen persönlichen Protest auszudrücken, andererseits mit seiner „Allergen-Kennzeichnung einmal anders“ nicht gegen die neue Verordnung zu verstoßen. „Wenn ich schon die Allergene anführen muss, dann auf meine Art“, sagt Straus zum KURIER.
In allen seinen Speisekarten ist auf der zweiten Seite ein Hinweiszettel zu finden, auf dem die 14 Allergene – von Eier bis Fisch – inklusive Sprüchlein (etwa: „... dieses Gesetz ist für die Fisch“) zu lesen sind. „Natürlich haben wir auch eine richtige Allergen-Speisekarte. Die ist ja Pflicht“, sagt Straus. Er ist trotzdem überzeugt, dass mit dieser gesetzlichen Regelung die viel umworbene regionale Küche zum „Einheitsbrei“ wird. Außerdem „hetzt man mit der Verordnung nur die Leute auf, mehr zu klagen“, befürchtet Straus.
Widerstand
Einen rebellischen Zugang hat auch der Waldviertler Gastwirt Helmut Preiser aus Groß Reinprechts, Bezirk Krems, gewählt. Er pfeift auf die Allergen-Verordnung und informiert die (Stamm-)Gäste mit einem Hinweis auf seiner Speisekarte darüber, dass sie ihn vorab über Allergien informieren sollen. „Bisher hat es auch keine Probleme mit Allergikern gegeben. Jeder Mensch kann sich artikulieren. Wenn jemand allergisch ist, dann wird er uns das sicher sagen. Und dann können wir uns beim Kochen dementsprechend richten und ihm Alternativen anbieten“, sagt Preiser, der sich über die neue europaweit gültige Lebensmittelinformationsverordnung ärgert.
Preiser glaubt, dass diese gesetzliche Regelung den Tod der kreativen Küche bedeutet. Denn häufig nimmt er kleinere Änderungen auf der Speisekarte vor, damit er seinen Gästen regelmäßig eine abwechslungsreiche und individuelle Küche anbieten kann. „Aber mit der neuen Verordnung ist der Aufwand viel zu groß“, ist Preiser überzeugt. Daher will der Waldviertler Gastronom auf die Allergen-Kennzeichnung verzichten und nimmt eine Anzeige in Kauf.