Chronik/Österreich

Die Scham für die Armut der anderen

Nennen wir sie Marika. Mehrmals pro Woche sitzt sie am Ausgang einer U4-Station. Zu geben hat sie nicht viel – sie singt und bittet mit gefalteten Händen um Almosen.

Um Bettlerinnen wie Marika ist ein Politikum entbrannt. Zuletzt in Salzburg: ÖVP und das Team Stronach warnten lautstark vor Bettlerbanden aus dem Osten. Die Krone peitschte in Salzburg und Linz mit einer Kampagne ein: "Wann kommt das Verbot für Profi-Bettler?!".

Was aber ist so störend an Bedürftigen, dass vielerorts der Ruf nach Verboten laut wird? Und was hilft gegen die Verunsicherung der Passanten und die Armut der Bettelnden?

Letzteres versucht Salzburg mit einem Spagat zu beantworten: Während bestimmte Formen des Bettelns unter Strafe stehen, soll es erstmals in einer Landeshauptstadt eine eigene Basis-Versorgung für Bettler geben (siehe unten).

"Mafia"

Ansätze in der Bettler-Politik, die wie in Salzburg eine soziale Handschrift tragen, sind rar. Ferdinand Koller, Sprecher der Bettellobby Wien, macht dafür den oft strapazierten Begriff "Bettelmafia" verantwortlich. Dahinter steckt der Gedanke, dass jemand die Menschen zum Betteln zwinge. Ergo fließe ein gespendeter Euro nicht in die Tasche des Bedürftigen, sondern in die dicke Geldbörse eines Kriminellen. "Wenn es das überhaupt gibt, ist es eine Ausnahme", sagt Koller. Politik und Medien sollten aufhören, "die Menschen zu instrumentalisieren". Organisiert seien Bettler zwar, aber auf freiwilliger Basis. Zu spüren bekommen das Menschen wie Marika. Sie zieht die Blicke auf sich, viele wenden sich ab. "Es ist unangenehm zu sehen, dass jemand so arm ist", sagt Koller. Die "Mafia-Geschichten" würden den Eindruck erwecken, dass die Armut nicht echt sei. "Das ist sie aber." Von den Verboten hält er nichts. Die Untersagung des gewerbsmäßigen Bettelns käme einem generellen Verbot gleich. "Wer ein zweites Mal erwischt wird, bettelt gewerbsmäßig", erklärt Koller. Damit würde man "Armut bestrafen". Die Hälfte der Bettler arbeitet organisiert, davon ist Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle im Bundeskriminalamt (BK) zur Bekämpfung des Menschenhandels, überzeugt. Und ein kleiner Teil der Bettler werde durch Menschenhändler ausgebeutet. Vor Kurzem wurde ein Fall publik, bei dem angeblich ein schwer behinderter Rumäne von Landsmännern an einen Baum gefesselt und gefoltert wurde, um ihn zum Betteln zu zwingen.

Allein 1100 Bettler aus Rumänien hielten laut BK im Vorjahr in Wien die Hand auf. 430 wurden wegen organisierter Bettelei angezeigt. Ein allgemeines Bettelverbot gibt es in der Bundeshauptstadt nicht. Soll es auch nicht geben.

Eine Steigerung nehme man nicht wahr. "Aber Berichterstattung schafft Aufmerksamkeit. Wenn eine Zeitung X den Kampf gegen die Bettlermafia ausruft, dann fällt mir die Person, die regelmäßig vor dem Supermarkt bettelt, auch eher auf", heißt es aus dem Büro von Stadträtin Sandra Frauenberger. "Alle in einen Topf zu hauen, kann nicht richtig sein." Das Problem sei nicht die Bettelmafia. "Sondern rassistische Tendenzen, die da gegen Gruppen entstehen." Dieser Meinung ist auch die Caritas. "Politische Kampagnen sorgen dafür, dass die Bettler in der persönlichen Wahrnehmung mehr werden", sagt Geschäftsführer Klaus Schwertner. "Aber wir müssen es aushalten, mit Armut konfrontiert zu werden."

Sechs Wochen lang haben sich Experten an einen runden Tisch gesetzt und zum Thema Betteln in der Stadt Salzburg beraten. Die Ergebnisse der beiden Arbeitsgruppen wurden am Montag präsentiert – und sie sind dürftig.

Zwar soll es "regulierende" Maßnahmen wie eine Basisversorgung in einer ganzjährigen Notunterkunft sowie einen "Verhaltenskodex" für Bettler geben, auf ordnungspolitischer Ebene ist aber weiterhin keine handfeste Lösung in Sicht.

Vizebürgermeister Harry Preuner (ÖVP) erklärt den runden Tisch daher für "gescheitert". Seit Jahren drängen Stadt-ÖVP und FPÖ auf ein sektorales Bettelverbot, sind mit ihrem Antrag aber im Gemeinderat abgeblitzt. Aus juristischer Sicht sei jede Einschränkung des Bettelns heikel, erklärt Magistratsdirektor Martin Floss: "Dass sich Passanten belästigt fühlen, rechtfertigt keinen Eingriff in die Grundrechte eines Menschen." Für die zweite Variante, ein Verbot des gewerblichen Bettelns im Landessicherheitsgesetz, braucht es eine Mehrheit im Landtag.

Menschenrecht

Sozialstadträtin Anja Hagenauer (SPÖ) will im Rahmen ihrer Kompetenzen rasch Maßnahmen in die Wege leiten. Für die Basisversorgung werde die Caritas ein Konzept erstellen. Zahlen will sie nicht nennen, die kolportierten Kosten von einer Million Euro seien jedenfalls "weit weg von dem, was infrage kommt", betont sie. In einer Notunterkunft sollen 40 bis 50 Bettler mit einem Schlafplatz, Essen und Kleidung versorgt werden. Bei einer Erhebung wurden 137 Notreisende in der Stadt gezählt. Schwierig dürfte die Suche nach einem geeigneten Gebäude werden. Bekanntlich sucht auch das Land gerade verzweifelt Quartiere für Asylwerber.

Hagenauer hat außerdem die Ausarbeitung eines "Verhaltenskodex" in Auftrag gegeben. Sozialarbeiter sollen damit auf die Bettler zugehen. "Es wird ihnen auf Augenhöhe erklärt, dass aggressives und organisiertes sowie das Betteln mit Kindern verboten ist und was das überhaupt bedeutet. Bisher haben wir immer über die Bettler gesprochen, aber nie mit ihnen. Schon das könnte zu einer deutlichen Besserung der Situation führen", sagt Hagenauer.