Chronik/Österreich

Die Fallstricke der Bürgerkarte

Das digitale Zeitalter ist bis dato an Frau N. vorbeigegangen. Die 54-Jährige aus Wien hat weder einen Internetzugang noch einen Computer. Aber sie hat ein elektronisches Postfach, von dem sie bis zum vergangenen Sommer nichts wusste. Was ihr deshalb auch entgangen ist: Sie war verklagt worden.

Sie erfuhr erst davon, als das Versäumnisurteil des Bezirksgerichts Hietzing bereits rechtskräftig war und sich ihre Versicherung wegen einer Exekutionsbewilligung von 11.150 Euro bei ihr erkundigte. "Ich hab’ geglaubt, mich trifft der Schlag", sagt Frau N. – immer noch ratlos, wie das passieren konnte.

Die Hausbesorgerin war von einer Autolenkerin auf Schmerzensgeld verklagt worden, weil diese im Winter 2014 auf einem eisigen Parkplatz ausgerutscht war und sich verletzt hatte. Die Zivilklage landete ein Jahr später im elektronischen Postfach von Frau N., das ihr Sohn 2009 für sie eröffnet hatte. Er hat damals den Einkommenssteuerausgleich für sie gemacht und die Bürgerkartenfunktion auf ihrer E-Card aktiviert.

Was kann die Karte?

Die Bürgerkartenfunktion über die E-Card oder die Handysignatur ersetzt im Internet die persönliche Unterschrift. Sie erlaubt es nicht nur, Amtswege online zu erledigen, sondern auch, auf elektronischem Wege wichtige Post zu bekommen.

Dafür gibt es fünf Anbieter, darunter den Postserver. Dieser zählt 156 Großversender – das sind Gerichte, Versicherungen, Privatunternehmen, Verwaltungsbehörden und Bildungseinrichtungen.

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Die E-Zustellung sei die bequemere, sparsamere und auch sicherere Variante gegenüber dem "gelben Zettel", der im Postkasten landet, betont Christian Rupp von der Plattform Digitales Österreich. Aktuell gebe es knapp 700.000 aktive Nutzer in Österreich, täglich werden durchschnittlich 10.000 digitale Signaturen abgegeben.

Frau N. dürfte nicht die einzige ahnungslose Nutzerin sein. "Wir sehen Nachholbedarf bei der Aufklärung. Wir bekommen häufig Anfragen, welche Services gehen und welche Vorteile sie bringen", sagt Rupp.

Beschwerden wie die von Frau N. seien ihm nicht bekannt. Immerhin würden sich die Zustelldienste doppelt absichern, erklärt er: "Nach dem Einlangen der elektronischen Post bekommt man zwei Verständigungen per eMail, dann eine dritte auf postalischem Weg."

Rätsel um Zustellung

Die eMails, gibt Frau N. zu, landeten auf dem inaktiven Mailkonto ihres Sohnes. Rätselhaft ist aber, dass sie den Erinnerungs-Brief erst am 1. September bekommen hat, als das Urteil vom Bezirksgericht Hietzing vom Juni bereits rechtskräftig war.

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Ihr Rechtsanwalt Bernhard Hofer hat wegen nicht rechtswirksamer Zustellung gegen das Urteil Nichtigkeit beantragt: "Meine Mandantin hatte keine Chance, die Klage zu bekämpfen, weil sie nichts davon gewusst hat." Sein Antrag wurde abgewiesen: Es gebe keinen Zweifel an der ordnungsgemäßen E-Zustellung, heißt es im Beschluss.

"Das Faktum, dass die Schriftstücke nicht abgerufen wurden, ist vom Gericht aber nicht berücksichtigt worden", kritisiert der Anwalt. Der Rekurs geht jetzt in zweiter Instanz zum Landesgericht für Zivilrechtssachen. "Man muss hinterfragen, ob hier ein Systemfehler vorliegt. Es sollte für den Bürger leichter nachvollziehbar sein, worauf er sich mit der Bürgerkarte einlässt", sagt Hofer.