Chronik/Österreich

Die Bergung kann beginnen

Donnerstagvormittag kam die Frohbotschaft: Der seit Tagen in der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden schwer verletzt ausharrende Höhlenforscher Johann Westhauser sei transportfähig. "Die Ärzte, die zu ihm vorgedrungen sind, haben dafür ihr o.k. gegeben", sagt Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern. Der genaue Zeitpunkt, wann mit der Bergung des 52-jährigen Stuttgarters begonnen werden kann, blieb aber noch unklar. Die Vorbereitungsarbeiten für den Aufstieg waren allerdings schon voll im Gang.

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"Der Patient ist psychisch und körperlich stabil", erklärte der am Einsatz beteiligte Mediziner Michael Petermeyer. Zwei Kollegen, ein italienischer Arzt und der Österreicher Martin Göksu, die den von einem Steinschlag am Kopf getroffenen Westhauser genauer untersuchen konnten, seien zu dem Urteil gelangt. "Sie haben an der Unfallstelle mit der medikamentösen Betreuung begonnen."

Der internationale Rettungs- und Bergeeinsatz findet auch mit massiver Beteiligung durch österreichische Helfer statt. Insgesamt 15 Landsleute befanden sich am Donnerstag vor Ort. Die größte Gruppe stellte dabei der nö. Landesverband der Höhlenretter – mit neun Experten. Ernst Hofmann, stellvertretender NÖ-Landesleiter, koordiniert das Österreicher-Team. Er hält sich seit Mittwoch in Bayern auf.

Sicherungen

"Derzeit sind zwölf unserer Leute in der Höhle. Ihre Aufgabe ist es, die unterirdischen Passagen für einen möglichst schonenden Transport des Verletzten vorzubereiten", erklärt Hofmann. Großes Augenmerk werde aber auch auf die Sicherheit der Rettungsmannschaften gelegt. Ziel sei, dass die meisten Passagen von zwei Mann mit Trage passiert werden können. "Seile müssen deshalb neu verlegt, Trittstifte eingeschlagen, Flaschenzüge und Seilbahnen installiert werden", beschreibt Hofmann die Anforderungen. Problematisch für die Retter sei neben der Tiefe vor allem das Wasser in der Höhle. "Wenn außerdem noch heftige Gewitter abgehen, werden Teile der Höhle vorübergehend nicht mehr befahrbar sein, dann verzögert sich alles."

Seine Leute werden etwa zwei Tage bis drei Tage unter Tag arbeiten und dann durch andere ersetzt werden müssen. "Die psychischen Anstrengungen sind sehr hoch."

Das bestätigt auch Harald Mixanig von der Kärntner Höhlenrettung: "Jeder Helfer muss ehrlich sagen, wann er genug hat und nicht mehr kann." Die Bereitschaft zu helfen, sei glücklicherweise enorm. "Wir haben sogar schon Angebote aus Slowenien, auch diese Leute stehen jetzt auf Abruf bereit."

Halskrause

Westhauser soll mit einer Flexi-Trage möglichst behutsam transportiert werden. Er bekommt eine Halskrause, damit sich die Bewegungen auf sein Schädel-Hirn-Trauma nicht allzu sehr auswirken. Petermeyer: "Sein Kopf soll möglichst stabil gehalten werden. Bei einigen Passagen werden Verrenkungen aber nicht zu vermeiden sein – es ist daher noch ziemlich ungewiss, wie er das schafft."

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Seit feststeht, dass Johann Westhauser transportfähig ist, laufen die Vorbereitungen für seine Bergung. Die Biwaks wurden neu mit Nahrung und Medikamenten ausgerüstet. Außerdem wird eine Art Seilbahn aufgebaut. Darum haben sich auch die Teams aus Österreich gekümmert.

Der Verletzte soll dann auf einer Flexi-Trage festgespannt und damit über die rund 4,5 Kilometer lange horizontale Strecke gezogen werden. Über den ein Kilometer langen vertikalen Schacht soll er mittels Flaschenzug gehoben werden. Ein Arzt ist immer an seiner Seite. So soll er in mehreren Tagen von Biwak zu Biwak transportiert werden.

Gute Neuigkeiten aus der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden: Johann Westhauser ist transportfähig. In der Nacht auf Donnerstag traf auch der zweite entsandte Arzt, ein Italiener, bei dem verletzten Stuttgarter ein, wie ein Sprecher der Bergwacht Bayern mitteilte. Der Schwerverletzte sei transportfähig, müsse jedoch zuvor behandelt werden. Bereits am Mittwochabend erreichte ein Arzt aus Niederösterreich den Verletzten.

"Die Ärzte werden jetzt einen medikamentösen Schutzmantel um den Mann legen", sagte ein Sprecher der Bergwacht Bayern. Dazu hätten sie spezielle Medikamente angefordert, die am Donnerstag bei dem Forscher eintreffen sollten. Sobald der Zustand des Patienten es erlaube, starte man damit, Westhauser aus dem Berg herauszuholen.

Schädelhirntrauma

Unter normalen Umständen müsste Johann Westhauser seit Tagen auf einer Intensivstation betreut werden. Stattdessen liegt er in einer ein bis zwei Grad kalten, nassen, dreckigen Höhle in rund 1000 Metern Tiefe im Untersberg. „Über die Schwelle der maximalen Gefährdung ist er hinweg, über den Berg ist er noch lange nicht“, sagt der Frankfurter Neurochirurg Michael Petermeyer. Der höhlenerfahrene Arzt sitzt in der Feuerwehrzentrale in Berchtesgaden und koordiniert die medizinische Versorgungskette innerhalb der „Riesending“-Schachthöhle, in der seit Sonntag ein gigantischer Rettungseinsatz läuft.

Westhauser war mit zwei anderen Forschern in der Nacht auf Sonntag in Deutschlands tiefster und längster Höhle von einem Steinschlag überrascht und von einem Brocken am Kopf getroffen worden. „Er hat ein Schädelhirntrauma. Die Verletzung ist mit jener von Michael Schumacher vergleichbar, nur schwächer ausgeprägt“, bringt Petermeyer den Ernst der Lage auf den Punkt. Über das Höhlenfunk-System Cavelink kommuniziert der Mediziner mit zwei Ärzten, die am Mittwoch versuchten, zu dem Verletzten vorzudringen. Bei einem der beiden handelt es sich um einen jungen Niederösterreicher, der zwischenzeitlich in Biwak 3 pausieren musste. Ihm gelang es am Mittwoch gegen 17.30 Uhr Westhauser zu erreichen. Ein italienischer Arzt war ebenfalls unterwegs, musste auf halbem Weg aber wie der Österreicher eine Rast einlegen.

Angespannte Stimmung

Die Stimmung in der Einsatzzentrale in Berchtesgaden ist dennoch angespannt. Sie wird von Medien belagert. Das Interesse an der dramatischen Rettungsaktion ist enorm. Die Helfer, die dem „Riesending“ im Untersberg entsteigen, werden strikt abgeschirmt. „Sie sind psychisch und physisch fertig und leer“, sagt Bergwacht-Sprecher Roland Ampenberger. Allein die Dunkelheit und Tiefe würden nur die Wenigsten aushalten.

Unter den Rettern, die sich in das verzweigte Höhlensystem gewagt haben, waren auch sechs Salzburger. Mittwochmittag ist der vorerst Letzte von ihnen wieder an die Oberfläche gekommen. Er war einer der Helfer der ersten Stunde und hat auch den verletzten Höhlenforscher betreut. „Er war 60 Stunden unten und hat gesagt: Es ist die reine Hölle“, berichtet Norbert Rosenberger vom Salzburger Höhlenrettungsdienst.

Den Helfern werde alles abverlangt. Der Abstieg erfordere körperliche Höchstleistungen. „Das ist eine Forschungshöhle, in der man nicht weiß, was einen erwartet. Bevor man da reingeht, bereitet man sich normalerweise technisch und körperlich vor. Wir hatten zwei Stunden Vorlaufzeit“, beschreibt Rosenberger den enormen Druck, der auf allen lastet, die in die Höhle einfahren. Canyons müssten im Spreizgang, Horizontal-Passagen auf allen Vieren bewältigt werden. Beim Abseilen in die bis zu 350 Meter tiefen Schächten gelte: „Ein Fehler, und du bist weg.“

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Bangen um Kameraden

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Dementsprechend groß ist auch die Sorge der Retter an der Oberfläche um ihre Kameraden unter Tag. Zwei italienische Trupps haben in der Zwischenzeit die Abseilstrecken im ersten Abschnitt gesichert und den Steinschlag-Schutz verbessert. Hier müssen die Höhlenretter extrem schwierige Passagen durchklettern. In dem Canyon haben die Italiener Trittstifte und Handseile an den glitschigen Felswänden angebracht, um die Gefahr in diesem Bereich zu minimieren.

Dass ein Arzt schnell und sicher zum Patienten kommt, haben die Einsatzleiter im Laufe des Mittwochs als oberste Priorität bezeichnet. Dass der Mediziner aus Niederösterreich nun bei Westhauser ist, darf als Meilenstein bei der Rettungsaktion gewertet werden. Denn nur ein Arzt kann entscheiden, ob und wie der verletzte 52-Jährige transportiert werden kann. Bislang wurde er lediglich von Sanitätern versorgt. Für ihr Urteil können die Mediziner nur auf ihre Erfahrung bauen. Denn sie müssen ohne Computertomograph und Röntgen auskommen.

Für den Aufstieg ist es nötig, dass Westhauser mithelfen kann – so gibt es etwa eine Engstelle, die nur passierbar ist, wenn man den Kopf schräg legt und den Bauch einzieht. Unter anderem mit Hilfe von Flaschenzügen könnte er über senkrechte Stellen gebracht werden. Ob das sitzend oder in einem Bergesack möglich sein wird, ist offen. Ebenso unklar ist, wie er geborgen werden soll, falls er nicht aus eigener Kraft etwas tun kann.

„Auf der Intensivstation würde man so einen Patienten keinen Millimeter bewegen“, erklärt Neurochirurg Petermeyer, der im Bedarfsfall selbst zu dem Patienten absteigen wird. Einsatzbereit sind auch Höhlenretter aus Österreich. Es ist ein Pool von bis zu 20 Männern. Wann die Bergung beginnen kann, hängt von der ärztlichen Untersuchung ab. Sie hängt einerseits vom Zustand des Verletzten ab. Entscheidend ist aber auch das Wetter. Der Einsatz wird sich in jedem Fall noch über Tage ziehen. Wie viele? Das wagt längst niemand mehr zu sagen.