"Das ist noch lange kein Cold Case"
Von Christian Willim
Lucile K. ist in der Nacht des 11. Jänner 2014 gerade auf dem Weg zu einer Freundin und telefoniert mit ihr. Um 23.45 Uhr reißt das Gespräch ab, die 20-jährige Französin ist nicht mehr erreichbar. Am nächsten Tag wird die Leiche der jungen Frau, die für ein Auslandssemester an der FH Kufstein studierte, am Innufer entdeckt.
Ein Unbekannter hat sie auf der viel begangenen Promenade oberhalb des Fundorts überfallen und ihr den Schädel eingeschlagen. Die Tatwaffe – ein Eisenrohr – wird Tage später von Tauchern im Fluss gefunden. Das iPhone von Lucile K. und ihre Handtasche sind bis heute verschwunden. Trotz intensiver Ermittlungen gibt es knapp ein Jahr nach dem Mord keine konkrete Spur.
"Von einem Cold Case sind wir aber noch weit entfernt. Der Fall ist noch lange nicht kalt", sagt Tirols Landeskriminalchef Walter Pupp. Das würde ein Mordfall erst, wenn eine Dienststelle nicht mehr weiter weiß. "Wir sind mit den französischen Behörden in Kontakt und haben ein justizielles Ersuchen gestellt", berichtet Pupp. Worum es dabei geht, will er aber nicht verraten. "Es ist aber nicht so, dass wir eine heiße Spur haben."
Zahlreiche Hinweise
Der erfahrene Kriminalist weiß aber auch: "Wenn man in so einem Fall nicht gleich ein Motiv oder einen Täter hat, dann kann der Ermittlungszeitraum sehr lange werden. Wir sind nach wie vor am Arbeiten." Kurz nach der Tat waren zahlreiche Hinweise bei den Behörden eingegangen, die sogar ein Phantombild eines möglichen Verdächtigen veröffentlichen konnten. "Aber es war nichts Brauchbares dabei", sagt der LKA-Chef.
Hoffnungen keimte bei den Tiroler Ermittlern im April auf, als in Wien ein 21-Jähriger verhaftet wurde, der für ein Serie von brutalen Überfallen auf Frauen verantwortlich gemacht wurde. Der Mann attackierte fünf seiner Opfer mit einer Eisenstange. "Von der Opferauswahl und der Art der Tatbegehung hätte er gepasst. Das sind natürlich Momente, in denen man denkt, es schaut gut aus", erklärt Pupp.
In Wien wie in Kufstein waren Frauen die Opfer, wurde mit einer Eisenstange auf die Überfallenen eingeprügelt und war die Aussicht auf große Beute gering. Doch ein Abgleich mit den im Fall Lucile sichergestellten DNA-Spuren zum Wiener Täter, der inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, verlief negativ. Das DNA-Material ist von so schlechter Qualität, dass es nicht in die Datenbank eingespeist werden kann und nur ein Direktabgleich den Mörder überführen könnte.
Kerzen und Blumen
In Kufstein erinnert bis heute eine kleine Gedenkstätte in der Nähe des Tatorts an das Verbrechen. "Es werden immer wieder Kerzen und frische Blumen gebracht", sagt Martin Krumschnabel. Der Bürgermeister der Stadt an der Grenze zu Bayern kommt hier selbst jeden Tag auf seinem morgendlichen Spaziergang vorbei, wie er erzählt. Der Mord hat nicht nur bei den Studenten der FH, von denen viele gerade wegen der vermeintlichen Sicherheit in der kleinen Stadt aus dem Ausland hier herkommen, für Verunsicherung gesorgt. Auch die Einheimischen waren lange verängstigt. "Von Verunsicherung ist inzwischen aber nichts mehr bemerkbar", sagt Krumschnabel.
Es waren die scheinbare Zufälligkeit des Opfers und die Brutalität des Täters, die am Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gekratzt haben. Dass auf der viel begangenen Innpromenade nahe dem Stadtzentrum jemand ermordet werden könnte, war bis zum 11. Jänner undenkbar.