"Das bringt der Umwelt nichts"
Von Bernhard Ichner
Am Donnerstag endete die Begutachtungsfrist der Änderungen im Naturschutz- sowie im Nationalparkgesetz. Wie berichtet, will Wien ja als erstes Bundesland die sogenannte Aarhus-Konvention (siehe unten) umsetzen – und damit Umweltschützern in Natur-relevanten Bewilligungsverfahren mehr Rechte einräumen.
Umweltlobbyisten lehnen den Gesetzesentwurf dennoch ab. Der Umweltdachverband (der unter anderem für den Alpenverein, das Kuratorium Wald, den Naturschutzbund und die Naturfreunde spricht), das Ökobüro (zu dem Greenpeace, WWF und Global 2000 gehören) sowie "Virus" kritisieren vor allem, dass NGOs bloß ein nachträgliches Beschwerderecht eingeräumt werden soll, eine Parteienstellung – also ein echtes Mitspracherecht – in Verfahren bliebe ihnen allerdings verwehrt. Der KURIER sprach mit Gerhard Heilingbrunner, dem Ehrenpräsidenten des Umweltdachverbandes, über das Thema.
KURIER: Aarhus sieht bei umweltrelevanten Verfahren Parteienrechte für Umweltschutzorganisationen, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen vor. Projekt-Beurteilungen sollen nicht mehr allein im behördlichen Elfenbeinturm stattfinden. Kommt Österreich den Vorgaben der EU ausreichend nach – speziell Wien als Vorreiter?
Heilingbrunner: Nein, eigentlich nicht. Die EU hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet, weil die Republik bei der Umsetzung säumig ist. Und jetzt versucht man, einer Klage auszuweichen, indem man der Vorgabe ein Stück weit entgegengeht – Wien hat da einen Versuchsballon gestartet. Das ist zwar grundsätzlich zu begrüßen. Aber der Entwurf ist eine lokale Schmalspur-Variante.
Inwiefern?
Die EU fordert eine echte Parteienstellung. Wien räumt NGOs aber nur ein nachträgliches Beschwerderecht ein. Vorher findet ein behördliches Ermittlungsverfahren mit Amtssachverständigen und Gutachtern statt. Da lässt man die NGOs uninformiert im Vorzimmer sitzen. Und wenn dann alles beschlossene Sache ist und ein gültiger Bescheid vorliegt, dann erst können die NGOs innerhalb von vier Wochen beim Verwaltungsgericht Beschwerde einbringen. Das ist ein absoluter Wahnsinn – für Umwelt wie für Wirtschaft. Das bedeutet mehr Bürokratie, eine Vervielfältigung der Verwaltungsverfahren und der Kosten, eine Verfahrensverzögerung sowie Rechtsunsicherheit für den Bauwerber.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Mitsprache nicht einmal auf alle Umweltrechtsverfahren anwendbar sein soll.
Genau. Das Recht einer nachträglichen Beschwerde gegen Umwelt-Bescheide wird weiter geschmälert, weil es eigentlich nur in ganz wenigen Fällen eingeräumt wird. Nicht zur Anwendung kommt es zum Beispiel im Wiener Bau- oder im Flächenwidmungsrecht. Auch das ist europarechtswidrig.
Was wäre also der Optimalzustand?
Selbst Wirtschaftsanwälte und Industriebetriebe verlangen, dass NGOs von Beginn an in Bewilligungsverfahren eingebunden werden. Das würde zu rascheren Verfahrensabschlüssen führen.
Wir reden hier jetzt immer nur von Umwelt-NGOs. Bürgerinitiativen sind vorerst aber gar nicht berücksichtigt.
Stimmt. Für Umweltorganisationen ist der Wiener Entwurf, wie gesagt, eine Schmalspur-Variante. Bürgerinitiativen sind dagegen nicht einmal vorgesehen. Das ist absolut EU-rechtswidrig und ein unhaltbarer Zustand.
Wien lässt jetzt einen Testballon steigen. Aber ist das angesichts zahlreicher Landesgesetzgebungen überhaupt erfolgversprechend?
Österreich ist in der EU in einem einzigartigen Dilemma: für ein sehr kleines Land leisten wir uns die größtmögliche Rechtszersplitterung. Obwohl es ein einheitliches EU-Recht punkto Naturschutz und Umweltrecht gibt, wird dieses in Österreich jeweils neun Mal multipliziert – für jedes Bundesland. Je neun Naturschutz-, Jagd- und Fischereigesetze, neun Bauordnungen, neun Flächenwidmungsvorgaben und acht Nationalpark-Gesetze ergeben fast 70 verschiedene Gesetze der Bundesländer im kleinen Umwelt- und Wirtschaftsraum Österreich. Und jetzt müsste dieses EU-Recht für jedes dieser Gesetze eigens umgesetzt werden. Der Bürokratie-Aufwand ist ein Wahnsinn. Das kostet Geld und verlängert die Verfahrensdauer – bringt aber der Umwelt nichts.
Wofür setzen sich die Naturschützer – im Speziellen der Umweltdachverband – daher ein?
Wir appellieren eindringlich an die Landeshauptleute-Konferenz, diesen Unfug ehebaldigst zu beenden und zu einer bundeseinheitlichen Rahmengesetzgebung zu kommen. Mit einer bundesweiten Parteienstellung für NGOs und Bürgerinitiativen in allen umweltrelevanten Verfahren; mit Mindeststandards im Naturschutz im Bereich Jagd und Fischerei, Bauordnung und Flächenwidmung, die vom Bodensee bis zum Neusiedler See gelten. Wenn sich die Bürger in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen können, kommt es sicher zu guten Ergebnissen.
Österreich folgt nur langsam den Vorgaben der EU-Konvention
Wien ist das erste Bundesland, das die Aarhus-Konvention teilweise umsetzen möchte. Im konkreten Fall bedeutet das, dass anerkannten Umweltorganisationen das Recht eingeräumt werden soll, bei Projekten, für die keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig ist, gegen Bescheide Beschwerde beim Verwaltungsgericht zu erheben. Am Donnerstag endete die Begutachtungsfrist für den Gesetzesentwurf. Alle namhaften Umweltorganisationen gaben negative Stellungnahmen ab (siehe Interview).
Die geplante Gesetzesnovelle ist kein freiwilliges Entgegenkommen Wiens, sondern würde geltendes EU-Recht umsetzen. Die nach der dänischen Stadt Aarhus benannte Konvention ist bereits 2001 in Kraft getreten.
Da man sich in Österreich mit der Umsetzung bis dato aber Zeit gelassen hat, leitete die EU-Kommission bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik ein. Die Landesumwelt-Referenten beschlossen im Mai 2015 daher die möglichst rasche Umsetzung der Konvention (in Wien ist SPÖ-Stadträtin Ulli Sima die Ressortverantwortliche). Vorarlberg scharrt auch bereits in den Startlöchern.
Umweltschützern geht der Wiener Entwurf jedoch nicht weit genug. Sieht Aarhus doch eigentlich die gesetzliche Verankerung voller Parteienrechte für NGOs, Bürgerinitiativen sowie Einzelpersonen vor. Beim Umweltdachverband kritisiert man zudem „die absurde Zweiteilung von Verfahren“ – in UVP-Verfahren mit Parteienstellung für NGOs und Projekte mit bloß nachträglichem Beschwerderecht. Die Grenzen, die über die Notwendigkeit einer UVP entscheiden, seien willkürlich gezogen worden.