Chronik/Österreich

Braun gefärbtes Brauchtum

Die Bilder, die am Donnerstagabend in einer Innsbrucker Buchhandlung zu sehen waren, hätten ebenso gut beim großen Landesfestumzug in Innsbruck 2009 entstehen können. Wie bei der Veranstaltung im Gedenken an den Tiroler Freiheitskampf 1809 defilieren Heerscharen an Schützen und Blasmusikern durch die Innenstadt. Doch die Kapellmeister tragen Hakenkreuz-Binden am Arm und die politische Elite steckt nicht in Anzügen, sondern in NS-Uniformen.

Es sind historische Filmaufnahmen der Landesschießen in den Jahren 1938 bis 1943. Für mindestens einen dieser Filme hat Sepp Tanzer die blasmusikalische Untermalung geschaffen. Bis vor wenigen Tagen war die Landesmusikschule in Kramsach noch nach dem ehemaligen NS-Gaumusikleiter von Tirol und Vorarlberg benannt. Inzwischen hat die Tiroler Landesregierung die Reißleine gezogen und die Umbenennung veranlasst.

Volkskultur in NS-Zeit

Die Reißleine hat nun auch der Tiroler Blasmusikverband gezogen. „Wir haben beschlossen, eine historische Aufarbeitung zu machen“, sagte Josef Wetzinger, der Medienreferent des Verbandes, bei einer Diskussion zur Rolle der Tiroler Volkskultur in der NS-Zeit im Anschluss an die Vorführung der Filme.

Die Debatte wurde in der übervollen Buchhandlung zum Teil hitzig geführt. Da waren ältere Besucher, die nicht verstehen wollten, warum am Ruf Tanzers gekratzt wird. Da waren aber vor allem Gäste, die sich von den Aufnahmen schockiert zeigten. „Ihr seid unter dem Kaiser marschiert, ihr seid unter Dollfuß marschiert, ihr seid unter Hitler marschiert. Ihr müsst euch überlegen, warum ihr heute immer noch marschiert“, forderte ein Teilnehmer in Richtung Wetzinger auch einen formalen Bruch der Auftritte von Blasmusikkapellen.

Weiteren Zündstoff dürfte die Debatte durch ein vom Land in Auftrag gegebenes Gutachten bekommen, das im Oktober veröffentlicht wird. Es setzt sich u.a. mit der politischen Instrumentalisierung von Tiroler Brauchtum in der NS-Zeit, aber auch in den Jahrzehnten nach Kriegsende auseinander. Der Blasmusikverband will unabhängig davon noch in diesem Jahr ein wissenschaftliches Gutachten zur eigenen Geschichte in Auftrag geben.