Chronik/Österreich

Balkan-Mafia greift nach den Flüchtlingen

Durch die Flüchtlingswelle sind die Strukturen der Balkan-Syndikate einem radikalen Wandel unterworfen. Jene Täter, die früher Drogen, Autos und andere Hehlerware verschoben haben, transportieren nun menschliche Ware. Der Tod von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster auf der Ostautobahn wird einer dieser Banden zugerechnet.

Österreichische Polizisten konnten sich vorerst nicht erklären, warum plötzlich die Aktivitäten der Buntmetallmafia zum Erliegen gekommen waren. Es werden keine Kabel mehr bei den ÖBB demontiert, es gibt keine diesbezüglichen Zugausfälle mehr. Erst langsam erkannten die Kriminalisten den Hintergrund: Jene Fahrer, die von den Ost-Paten dafür eingesetzt worden waren, mit Groß- oder Kleintransportern nächtens auf Schleichwegen in den grenznahen Bereichen Wien, Niederösterreich und Burgenland erbeutete Kabel und Grablichter zu transportieren, werden jetzt für Menschentransporte eingesetzt. 20 Flüchtlinge im Laderaum bringen wesentlich mehr ein als Hehlerware.

Kleinkriminelle

Auch die bisher Verhafteten nach der Tragödie von der Ostautobahn werden von der Polizei jenem Milieu zugerechnet. Nach bulgarischen Quellen stammen sie großteils aus Nordwest-Bulgarien. Der mutmaßliche Organisator, Tsvetan T., wurde von der Polizei aus seiner Unterkunft im Roma-Getto Humata am Rande der Stadt Lom geholt.

Ebenfalls aus Lom stammt der 29-jährige Metodi G., dem die Behörden vorwerfen, er hätte den Todes-Laster gelenkt. Andere Quellen behaupten aber, dass Metodi G. eine Zeit lang in Österreich und Deutschland gelebt hat, und als Späher und Rekrutierer fungiert hätte. Ihm wird eine Karriere als Zigarettenschmuggler und Versicherungsbetrüger nachgesagt. Ventsislav T., ein weiterer mutmaßlicher Komplize, stammt aus dem nur wenige Kilometer entfernten Ort Malorad. In Ungarn verhaftet wurde schließlich auch der Afghane Samsooryamal L., der beim Anheuern von Flüchtlingen behilflich gewesen sein soll. Er wurde im Jahr 2013 in Bremen verhaftet, weil er illegal nach Deutschland eingereist war.

Für die Kriminalisten bietet sich hier das Bild einer von Hunderten typischen Gruppen der herkömmlichen Kriminalität, die aber bisher mit Schlepperei nichts am Hut hatten.

Etablierte Syndikate

Das Schlepperwesen war jahrzehntelang fest in der Hand von etablierten Syndikaten mit Schwerpunkten in Istanbul, Ankara und Griechenland. Sie verfügen über Strukturen nach Nordafrika und Asien. Bei ihnen können Flüchtlinge eine Reise nach Europa in einem Stück buchen und müssen sich an den jeweiligen Grenzen keine Gedanken um das Fortkommen machen. Es ist immer jemand von der Organisation da, der weiterhilft.

Aber auch diese "alteingesessenen" Syndikate sind mit dem gegenwärtigen Rekordansturm überfordert. Das führt dazu, dass auch alle anderen Ostbanden die Flüchtlinge als neues "Geschäftsmodell" vereinnahmen. Auch jene, die bisher südamerikanisches Suchtgift über die klassische Balkanroute geschmuggelt haben.

Europol

Nach einer Einschätzung von Europol-Chef Rob Wainwright sollen etwa 30.000 Kriminelle in das Schleusergeschäft involviert sein. Europol bearbeitet dieses Jahr bereits 1400 Verdachtsfälle. Frontex-Sprecherin Izabella Cooper erklärt den Trend. Demnach würden sich immer mehr lokale, kriminelle Gruppe für Menschenschmuggel interessieren und mithilfe von Afghanen und Syrern Kontakte zu den Flüchtlingen knüpfen.

Für die Flüchtlinge ist diese Entwicklung eine ernsthafte Bedrohung. Denn die bisher tätigen Schleusergruppen waren am Erfolg interessiert. Wäre ein Flüchtling nicht ans Ziel oder sogar zu Tode gekommen, hätte das die Arbeit der Werber in den Herkunftsländern massiv erschwert. Nicht so zuverlässig agieren hingegen die Balkan-Banden. Das wissen auch die Flüchtlinge.

Betrüger

So erzählte ein Iraker, der mit seiner Frau und zwei Kindern am Bahnhof Keleti gestrandet war, dem KURIER von seiner Angst, betrogen zu werden. Denn Schleuser hatten ihm zugesagt, ihn und seine Familie für sein letztes Geld nach München zu bringen. Zahlen müsse er aber im Vorhinein. Das hatte bei dem Mann Ängste ausgelöst. Zu Recht, wie man aus zahlreichen Vorfällen weiß, bei denen Flüchtlinge auf österreichischen Autobahnen ausgesetzt wurden. In einem Fall wurden Flüchtlinge vor ein Supermarkt-Portal gesetzt, und ihnen erklärt, das sei ein Grenzübergang.

Den neuen Schleuserbanden fehlt aber nicht nur die Zuverlässigkeit, sondern auch der Sachverstand. Kriminalisten gehen davon aus, dass hinter den A4-Tätern keine Profis standen. Denn so einer Organisation wäre es nicht passiert, das die Flüchtlinge ersticken. Und wenn doch, hätten die Täter den Lkw verschwinden lassen.