Amokläufer Ernst Dostal richtete sich selbst
Der Amoklauf des 55-jährigen Alois Huber ruft Erinnerungen an eine Wahnsinnstat wach, die im Juni 1973 die Öffentlichkeit tagelang im Bann hielt. Maschinenbau-Ingineur Ernst Dostal, 23, der vorher seinen besten Freund ermordet hatte, schoss während eines Verhörs vier Gendarmen nieder und tötete zwei Tage darauf ein ihm völlig unbekanntes Ehepaar.
Der Mörder löste die bis dahin größte Fahndung in Österreich aus. Erst Tage später konnte der Gejagte dank eines KURIER-Lesers in einem Versteck bei Altlengbach, NÖ, entdeckt werden. Dostal starb – wie Huber – durch Selbstmord, indem er sich, umzingelt von Einsatzkräften, eine Kugel in den Kopf jagte.
Als junger KURIER-Reporter war ich damals mit der Berichterstattung über diesen brutalen Kriminalfall betraut. In zwei Phasen des Geschehens entging ich nur knapp einer wüsten Schießerei und möglicherweise einer ebenfalls tödlichen Kugel.
Es begann am 13. Juni 1973. Bei einer Brücke über die Südautobahn bei Guntramsdorf entdeckten Gendarmen einen Explosionskrater und im Umkreis unzählige Leichenteile. Hier war ein Mensch in die Luft gejagt worden. Es war der 26-jährige Wiener Richard Dvorak. Die Ermittlungen übernahm die nö. Mordkommission, die in der Wiener Rennweg-Kaserne residierte.
Bald stießen die Kriminalisten auf Dvoraks Freund Ernst Dostal. Beide kannten einander aus einem Kampfsportverein. Da er zum Mordopfer als Letzter Kontakt gehabt hatte, wurde für 22. Juni eine Befragung angesetzt.
Ich hatte damals gute Kontakte zu Mordermittlern. Gegen 17 Uhr erhielt ich den Tipp: Möglicherweise könnte der Mordfall Dvorak noch in der Nacht geklärt werden. Auf der Fahrt in die Rennwegkaserne stoppte ich beim Schwarzenbergplatz, um Kaffee, Kuchen und Fruchtsäfte für die Mordgruppe zu kaufen. Den Beamten, dachte ich, würde eine Stärkung vor einem Marathonverhör guttun. Nach drei Minuten im Laden fuhr ich weiter Richtung Oberzellergasse, zum Eingang der Gendarmerie-Kaserne.
Drei rettende Minuten
Hätte ich drei Minuten früher das Büro betreten, wäre ich ins Visier des Amokläufers geraten. Denn Dostal hatte sich in Widersprüche verwickelt und drehte plötzlich durch. Aus zwei Faustfeuerwaffen, die er am Körper verborgen hatte, begann er auf die Beamten zu schießen. Die Kriminalisten Ottokar Pücher, 38, Matthias Horvath, 42, und Harald Syrinek, 48, wurden schwer verletzt. Am schlimmsten traf es Pücher. Er erlitt einen Nackenschuss und war bis zu seinem Tod 2010 querschnittgelähmt.
Auf der Flucht durch die Gänge streckte Dostal einen vierten Beamten, Leopold Ullrich, 57, mit einem Bauchschuss nieder. Dann sprang er aus einem Fenster im ersten Stock und landete auf einem Auto in der Oberzellergasse. Mit vorgehaltener Waffe raubte er einen Fahrschulwagen, flüchtete zum Südtiroler Platz, kaufte 200 Schuss Munition und entkam über eine Donaubrücke.
Als ich vor der Kaserne eintraf, waren Uniformierte eben dabei, alle Tore zu verriegeln, weil sie den Amokläufer noch im Gebäude wähnten. Das Motiv für den Mord am Freund klärten die Ermittler erst später: Dostal hatte Dvorak überreden wollen, Industrielle zu entführen und Lösegeld zu erpressen. In einem Bauernhof bei Obergrafendorf hatte er ein schalldichtes Verlies eingerichtet. Als Dvorak den Plänen abschwor, war das sein Todesurteil.
Bei dem Schussattentat auf vier Exekutivbeamte blieb es nicht. Am nächsten Tag erschoss Dostal auf der Flucht das Döblinger Ehepaar Viktor und Johanna Steiger in ihrem Wochenendhaus bei Groß-Enzersdorf. Danach flüchtete Dostal in den Wienerwald. Ein aufmerksamer KURIER-Leser machte die Exekutive auf ein merkwürdiges Inserat aufmerksam: „1919, habe Montag vergeblich beim Turm auf Dich gewartet, werde es Mittwoch und Donnerstag gegen 22 Uhr nochmals probieren. Bin momentan unter 02774/ 326 zu erreichen.“ 1919 war das Geburtsjahr von Dostals Vater Robert und die Nummer gehörte zu einem unbewohnten Wochenendhaus in Altlengbach. Eine Armada stürmte das Haus. Doch Dostal war weg. Dann kam ein Hinweis auf ein anderes Haus auf der Klara-Höhe. Die Gendarmen lieferten sich mit Dostal ein heftiges Feuergefecht. Der Mörder hatte seine aussichtslose Lage erkannt und richtete sich schließlich selbst.
Wie nach dem Amoklauf von Alois Huber startete der KURIER auch damals eine große Hilfsaktion für eines der Opfer. Für den querschnittgelähmten Ottokar Pücher wurde ein behindertengerechtes Haus in Probstdorf, Bezirk Gänserndorf, errichtet. Dutzende Kameraden Püchers und KURIER-Redakteure halfen beim Bau. Unterstützt wurde das Projekt vom damaligen nö. Sicherheitsdirektor Emil Schüller.