1500 Leben könnten gerettet werden
Drei bis vier Menschenleben könnten pro Tag gerettet werden, wenn bei medizinischen Notfällen ein Ersthelfer vor Ort wäre, der auch das richtige macht“, spricht Michael Opriesnig, Generalsekretär der Roten Kreuzes von etwa 1500 vermeidbaren Todesfällen pro Jahr in Österreich.
Die europaweite Studie zur Ersten Hilfe zeigt weiters, dass Herr und Frau Österreicher zwar spontan helfen, in der Praxis aber an der richtigen Erstversorgung scheitern würden. ÖAMTC-Direktor Oliver Schmerold: „In Österreich trauen sich 80 Prozent zu, Hilfe zu leisten, allerdings nur 15 Prozent wissen, was zu tun ist.“ Nachsatz: „In puncto Zivilcourage sind wir Europameister, beim tatsächlichen Können aber eher Schlusslicht.“
Je 200 Autofahrer wurden in 14 Ländern vom ÖAMTC, seinen Partner-Clubs und den nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften getestet. Wobei Deutschland beim Erste-Hilfe-Wissen an der Spitze liegt. Italien ist im Europa-Vergleich Schlusslicht (siehe Grafik). Österreich liegt unter den 14 getesteten Nationen nur an 9. Stelle.
Politik ist säumig
Dieses Ergebnis bringt die heimische Ausbildungspolitik in die Kritik. Der Chef des Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler, Harald Hertz: „Die Ausbildung zur Ersten Hilfe muss schon in der Schule beginnen. Ich habe seit dem Unterrichtsminister Scholten keinen der zuständigen Ressortchefs ausgelassen, um die Politik zu sensibilisieren. Jeder hat zugesagt, passiert ist gar nichts.“ Der renommierte Unfallchirurg weiter: „Die Autonomie unserer Schulen ist furchtbar. Jeder Direktor kann sagen, bei mir nicht.“
ÖAMTC und Rotes Kreuz präsentierten Frankreich als Positiv-Beispiel: „Dort sind Erste-Hilfe-Kurse in Schulen verpflichtend. 46 Prozent der Befragten haben aus Eigeninteresse einen Kurs belegt.“ Infos zu Erste-Hilfe-Kursen gibt es unter www.erstehilfe.at.
Viele Menschen glauben, dass Erste Hilfe großteils im Straßenverkehr zur Anwendung kommt. Tatsächlich aber passieren 70 Prozent der Unfälle mit Erstversorgung in der Freizeit und/oder zu Hause. Meist sind es die eigenen Kinder, Eltern oder Freunde, die eine seriöse Erstversorgung brauchen. „Erste Hilfe ist nicht schwer, kann aber Leben retten. Wer seine Kenntnisse regelmäßig auffrischt, fühlt sich im Ernstfall auch sicher“, weiß Hertz.
Wie sich Unsicherheit in der Realität auswirkt, untersuchte der ÖAMTC. Schmerold: „Unsicherheit führt dazu, dass im Notfall die wenigsten zu Ersthelfern werden.“ Im Klartext: Man fährt bei einem Unfall einfach weiter, delegiert die Erstversorgung an andere, oder setzt im Stress die falschen Maßnahmen. Laut Gesetz ist jeder Beteiligte in Österreich dazu verpflichtet, die bestmögliche Hilfe zu leisten.
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„Die Menschen sind mit der Situation überfordert. Sie würden gerne helfen, wissen aber nicht, wie sie das anstellen sollen“, sagt Florian Schodritz. Der 28-jährige Niederösterreicher aus Bruck an der Leitha muss es wissen. Seit acht Jahren ist er freiwillig beim Roten Kreuz tätig. Tausende Einsätze liegen hinter ihm. Die aktuelle Studie bestätigt seine Erfahrungen. „Dem Cocktail aus helfen wollen, wenig Wissen und keiner Routine begegnen wir häufig“, sagt Schodritz. „Viele haben einfach Angst, was falsch zu machen. Nur: Der einzige Fehler ist, nichts zu machen. Traut euch einfach!“, appelliert er. Die Regeln in der Ersten Hilfe wurden vereinfacht, um Verwirrungen zu verhindern.
Aber noch immer ist die Angst in den Köpfen präsent. Das bemerkte der Manager erst kürzlich. In der Wiener U-Bahn-Station Schwedenplatz brach ein Mann mit einem epileptischen Anfall zusammen. „Zeugen sind herumgestanden, haben aber nichts unternommen. Erst als ich dazugekommen bin und gesagt habe, dass ich Sanitäter bin, sind sie aus der Schockstarre erwacht.“ Deshalb begrüßt er auch Erste-Hilfe-Kurse in der Schule. „Je früher die Kinder damit in Berührung kommen, umso besser werden sie im Ernstfall agieren. Das rettet Leben“, sagt der Sanitäter.
Monika Röttgen, Wien: „Ich würde mir Erste Hilfe nicht zutrauen. Es ist ewig her, dass ich damit zu tun hatte – und zwar für den Führerschein. Heute weiß ich nicht mehr, was zu tun ist. Ich traue mir das nicht mehr zu – aus Angst, etwas falsch zu machen. Zum Glück war ich nie in der Situation. Aber es wäre gut, das alles wieder aufzufrischen und wieder einmal einen Kurs zu besuchen.“
Unabhängig davon, wer einen Unfall verursacht hat - jeder Beteiligte oder Hinzukommende ist in Österreich dazu verpflichtet, die bestmögliche Hilfe zu leisten. Dabei sollte jedoch in jedem Fall die eigene Sicherheit im Vordergrund stehen. Die Autobahn zu überqueren, um auf der anderen Seite eine Unfallstelle abzusichern, ist beispielsweise nicht zumutbar. Wohl aber anzuhalten und einen Notruf zu tätigen. Das ist das Mindeste, was man tun muss. Strafbar ist unterlassene Hilfeleistung nur dann, wenn sie ohne Eigengefährdung zumutbar gewesen wäre.
Weitere Informationen online unter www.erstehilfe.at sowie www.oeamtc.at/pisafirstaid und www.jugendrotkreuz.at