Chronik/Oberösterreich

„Wir brauchen qualifzierte Zuwanderung“

Doris Hummer (45) ist Unternehmerin, Landesobfrau des ÖVP-Wirtschaftsbundes und seit 2017 Präsidentin der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Von 2009 bis 2015 war sie Landesrätin für Bildung und Forschung.

KURIER: Haben Sie auch einen Asylwerber als Lehrling angestellt?

Doris Hummer: Ja, wir haben derzeit einen afghanischen Aslywerber zur Probe. Der Lehrvertrag wird vermutlich am 3. September abgeschlossen.

Sind Sie auch derselben Meinung wie Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung, dass Lehrlinge bleiben sollen dürfen, unabhängig davon, wie das Asylverfahren ausgeht?

Wir können das Thema der Lehrlinge nicht über das Asylrecht regeln. Der beste Zugang ist jener über das Fremdenrecht. Im Regierungsprogramm steht, dass eine Lehre einen Aufenthaltstitel begründen soll. Ähnlich dem für Schüler und Studenten. Wir können das Aslyrecht nicht ausheben, aber ganz klare Rahmenbedingungen für fremdenrechtliche Lehrlinge schaffen. Nach der Lehre soll er über die Rot-Weiß-Rot-Karte einen Aufenthaltstitel bekommen.

Das heisst, die Leute können bleiben.

Sie können mit einem sicheren Rechtstitel bleiben. Die Bundesregierung will aber nicht eine Hintertür für das Asylrecht öffnen. Asylrecht soll Asylrecht bleiben. Wir wollen eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Es soll bereits im Vorfeld entschieden werden, ob jemand im Land bleiben kann. Das soll man über das Fremdenrecht lösen.

Wir haben momentan eine Sondersituation mit 200 bis 300 Lehrlingen inOberösterreich, die aufgrund eines Asylantrags bereits in der Lehre sind. Für diese brauchen wir eine Sonderlösung. Da wünsche ich mir eine pragmatische Lösung.

Es wird auch in Zukunft so sein, dass das Asylverfahren noch läuft und der Betroffene eine Lehre macht.

Dann muss es den Antrag über das Fremdenrecht geben. Heute gibt es noch keinen Aufenthaltstitel für Lehrlinge.

Das heisst, der Asylwerber muss zuerst den Aufenthaltstitel bekommen, bevor er mit der Lehre beginnen kann. Die Regierung kann dann immer noch sagen, es gibt keinen Aufenthaltstitel solange das Asylverfahren läuft.

Genau. Wir haben Mangelberufe, wo wir qualifzierte Zuwanderung brauchen. Da brauchen wir uns nichts vormachen. Für solche Bereiche sollte n wir auch die Lehre öffnen.

In Deutschland wird derzeit über ein Einwanderungsgesetz diskutiert. Sollte es ein derartiges Gesetz auch in Österreich geben?

Ja. Wir sollten die Augen nicht vor der Realität verschließen, dass wir qualifzierte Zuwanderung für den Standort Österreich brauchen.

Die Zuwanderung aus EU-Ländern wie Rumänen, Bulgarien, der Slowakei etc. reicht nicht aus?

Wir sehen, dass das nicht reicht. Der Fachkräftemangel beschäftigt die Betriebe am stärksten. Quer über alle Qualifikationssebenen. Deshalb sind wir für die qualifizierte Zuwanderung mit einer funktionierenden Rot-Weiß-Rot-Karte.

Sie funktioniert derzeit nicht wirklich.

Sie ist vom Mindestverdienst viel zu hoch angelegt. Sie ist prinzipiell ein gutes Instrument, aber man muss sie an die Gegebenheiten anpassen, die von der Wirtschaft gefordert werden.

Die derzeitige Rot-Weiß-Rote Karte war das Resultat einer Sozialpartnerlösung. Diese ist offensichtlich in einer Krise.

In Oberösterreich befindet sich die Sozialpartnerschaft in einer Neuorientierung. Vor einem Jahr gab es den Eklat mit dem Filmchen, wo wir gesagt haben, mit Unternehmerbeschimpfung kann Partnerschaft nicht funktionieren. Es hat bereits einige Gespräche in der Richtung gegeben, wo wollen wir denn gemeinsam hin? Die Sozialpartnerschaft kann nicht von drei Pressekonferenzterminen leben, wo sie zwar beschworen, aber dahinter Klassenkampf betrieben und am Ende des Tages nichts zusammengebracht wird. Siehe Arbeitszeitflexibilisierung. In Oberösterreich sind die größten Herausforderungen der Fachkräftemangel, der Bürokratieabbau und neue Ausbildungsformen wie die duale Akademie (Matura mit Lehre).

Arbeiterkammerpräsident J Kalliauer hofft auf die Unterstützung der Wirtschaft bei der Verteidigung der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen.

Es geht darum, das Gesamtsystem weiter zu entwickeln. Die oberösterreichische Gebietskrankenkasse finanziert andere quer. Es ist uns ganz besonders wichtig, dass die Selbstverwaltung erhalben bleibt. Dazu hat sich Bundeskanzler Kurz auch bekannt. Wir kämpfen für die Regionalität, denn wir wollen die Vergleichbarkeit haben. Mit einer Zen tralisierung würde diese wegfallen. Und wir wollen in der Selbstverwaltung weiters die Lenkungsfunktion von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern.

Soll es die Selbstverwaltung auf regionaler Ebene noch geben?

Ja, für die Aufgaben, die auf regonaler Ebene gelöst werden sollen.

Es gibt viele Vorschläge der Regierung, die zuerst sehr radikal präsentiert werden. Siehe AUVA, die ursprünglich abgeschafft werden sollte. Dann wird, wie man auf gut oberösterreichisch sagt, zurückgeschwanzelt. Liegt das an der Unerfahrenheit vieler Regierungsmitglieder?

Nein, sie sind nicht unerfahren. Es gibt ganz ambitionierte Pläne dahinter. Es gibt den ganz großen Wunsch, das Land weiter zu entwickeln.

Wie kann dann die Familienministerin Vorschläge machen, die zur Folge hätten, dass es am Land keine Kindergärten mehr gibt?

Für manche Agierende ist politische Aufregung auch Programm. In einer Regierungsfunktion zu sein bedeutet auch die neue Rolle kennen zu lernen. Bei manchen Vorschlägen hat man zu wenig bedacht, was das für die Gesamtsystem bedeutet.

Die geplante Kürzung bei den Kindergärten ist eine minimale, wenn man ehrlich ist. Und sie setzt am falschen Punkt an. Wir müssen in der Elementarpädagogik viel mehr Geld in die Hand nehmen. Die Bestrebung der Regierung nach einer Bereinigung der Zuständigkeiten halte ich für richtig.

Die Industriellenvereinigung fühlt sich bei der Bestellung von Markus Achleitner als neuen Wirtschaftslandesrat vom Landeshauptmann und teilweise auch von Ihnen übergangen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Ehrlich gesagt, verstehe ich die Kritik nicht. Denn sie ist eine rein parteipolitische. Wenn ich mich richtig erinnere, sitze ich im Landesparteivorstand der ÖVP und der Präsident der Industriellenvereinigung nicht. Deshalb hat diese Entscheidung der Landeshauptmann mit mit als Obfrau des Wirtschaftsbundes getroffen. Ich bin im ÖVP-Vorstand nicht als Wirtschaftskammerpräsidentin, sondern als Obfrau des Wirtschaftsbundes.