„Vertrauen wichtiger als Glaube“
Von Josef Ertl
Wilhem Zauner (83) war bis 1994 Professor für Pastoraltheologie an der katholischen Privatuniversität Linz.
KURIER: Wie haben Sie die Zeit des Konzils erlebt?
Wilhelm Zauner: Ich war damals Kaplan im Neuen Dom. Es kam ein Student aus Rom zu uns, er war aus unserer Diözese. Ich habe ihn gefragt, was denn Rom vom neuen Papst Johannes XXIII. halte. Er sagte, die Römer lachen alle über ihn. Er seit uralt und beginne ein neues Konzil. Er müsste doch wissen, was da alles zu tun sei. Er sei nicht erste Klasse in der Theologie, das habe doch alles keinen Sinn. Er werde bald sterben, dann könne man einen anderen wählen. Er zitierte ein paar Aussprüche des Papstes, wo die Leute die Köpfe geschüttelt hätten haben. Als ich ihn selbst im Fernsehen gesehen habe, habe ich mir ein anderes Bild machen können. Wir hatten einen menschlichen Eindruck von ihm, der positiv war. Die Leute haben gesagt, schau dir das an, das ist eine ganz andere Musik der Kirche.
Haben Sie schon geahnt, in welche Richtung es gehen könnte?
Ich habe sofort mit Aufmerksamkeit wahrgenommen, von diesem alten Mann wird Neues kommen. Er ist fähig und hat die Kraft, Neues zu bringen. Wir hatten das Gefühl, es geht nichts mehr weiter. Als der Papst da war, ist die Kirche auf einmal lebendiger geworden. Es sind auf einmal wieder so viele Leute in die Kirche und auch beichten gegangen. Sie sind gekommen, weil sie mit uns reden wollten. Es haben sich Gespräche entwickelt, die mir so viel gebracht haben. In der Theologie ging es nicht mehr so sehr um den Katechismus, sondern um das Leben. Auf einmal sind auch viel jungen Männer gekommen, die Priester werden wollten. Sie hatten das Gefühl, dass man etwas machen kann.
Wenn man heute behauptet, das die jungen Leute keinen Glauben mehr haben und nicht mehr Priester werden wollen, dann ist das eine Gemeinheit und Unterstellung. Ich habe Kontakt mit jungen Leuten und ich weiß ganz genau, dass sie auch wieder gern Priester werden würden. In der Kirche heute bewegt sich ja nichts, überhaupt nichts. Sie erhält von allen Seiten Hinweise, macht das und das anders, sie tut`s aber nicht.
Warum nicht?
Aus Angst. Die Angst, sie könnten etwas zerstören, wenn sie etwas ändern. Der Papst traut sich nicht von dem Gebrauch zu machen, was ihm im Kodex zugesprochen wird. Er kann jedwede Änderung der Kirchenrechts ganz allein verfügen. Er hat alle Gewalt. Er kann jederzeit den Zölibat aufheben. Der Zölibat ist heute der stärkste Bremser des Fortschritts der Kirche. Ich sage den Bischöfen immer, der Zölibat ist nicht von Christus angeordnet worden. Wo steht das in der Bibel? Ein Bischof hat mir darauf geantwortet, Jesus hat nicht geheiratet, deshalb dürfen auch die Pfarrer nicht heiraten. Darauf habe ich ihm gesagt, Jesus war doch kein Pfarrer. Logischerweise dürften dann alle Christen nicht heiraten, weil sie Christus nachfolgen sollen. Mit Logik kann ich doch keine Kirche bauen. Im Vatikan wird irrtümlicherweise gemeint, sie müssten die Kirche bauen. In der Bibel steht aber, auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen. Es baut also Jesus Christus und nicht der Vatikan.
Sie sind Ihr Leben lang in der Kirche gewesen. Sind Sie enttäuscht?
Ich bin bis heute sehr sehr gern in meinem Beruf. Ich habe mein Möglichstes getan, dass ich in den entsprechenden Kreisen meine Meinung gesagt habe. Aber da steht man einfach an. Da lächeln einen manche von oben herab so an, was sich da ein Priesterlein so vorstellt. Bitte, auch wenn ich ein Priesterlein bin, ich werde mir doch was vorstellen dürfen (lacht).
Was gefällt Ihnen am Priester-Sein?
Ich habe bis zum letzten Tag meines beginnenden Studiums nicht gewusst, was ich werden soll. Die Mutter hat mir gesagt, du musst uns sagen, was du werden willst, denn wir müssen ja das Geld bereitstellen.
Sie sind der Sohn eines Gendarmen.
Mein Vater ist sogar Major geworden. Er war so ein liebenswürdiger Major. Er ist in der Nazizeit jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Daraufhin ist er nach Linz zitiert worden, wie ihm das nur einfallen kann, mit der Uniform in die Kirche zu gehen. Er antwortete, in meiner Dienstanweisung steht, der Platz eines Gendarmen ist dort, wo sich Menschen versammeln. Das ist am meisten der Fall in der Kirche (lacht). Ich bin heute noch so glücklich über meinen Vater.
Ich habe einen Theologiestudenten getroffen und habe ihm gesagt, ich möchte auch Theologie studieren. Ich habe ihm gesagt, ich habe eine Sperre, diesen Beruf zu übernehmen, denn ich bin dann von Berufs wegen verpflichtet., zu sagen, dass es Gott gibt. Er hat mir geantwortet, ich verstehe dich. Was du willst, das gibt es nicht. Man kann Gott nicht beweisen. Darauf habe ich ihm gesagt, dann stehe ich in meinem ganzen Beruf auf einem nicht festen Boden. Seine Antwort: Aber wenn du diesen Boden mit Vertrauen betrittst, dann wird er dich tragen. Mit diesem Vertrauen bin ich heute nach 60 Jahren noch Priester. Das ist meine Kernbotschaft: Habt Vertrauen.
Im Griechischen gibt es mit pistis ein Wort für Vertrauen und Glaube. Mir ist das Vertrauen wichtiger als der Glaube. Der Katechismus führt nicht weiter, Vertrauen schon. Die Kirche braucht Vertrauen. Wenn sie so eine Angst hat, kann sie nicht mehr weitergehen. Hirtenbriefe und Enzykliken helfen uns nicht weiter. Davon können wir nicht leben. Wir müssen es tun. Da sagen dann die Leute, da gehen wir hin, vielleicht können wir da mittun.
Worin haben Sie Ihre Hauptaufgabe als Priester gesehen?
Den Leute, die mit mir reden, schenke ich mein Vertrauen. So habe ich immer das Vertrauen der Ministranten und der jungen Leute gehabt. So bin ich überall gern Priester gewesen. Wenn jemand zu mir kommt, höre ich ihm gerne zu. Ich will ihn nicht belehren. Mancher sagt dann Danke für die Vorschläge, die ich ihm gemacht haben soll. Ich antworte, bitte, ich habe keinen einzigen Vorschlag gemacht. Während du mir zugehört hast, ist dir selber etwas eingefallen. Darauf habe ich vertraut. Das ist die ganze Seelsorge.
Würden Sie das Priestertum für Frauen einführen?
Selbstverständlich. Wenn ich an den Beginn der Kirche denke, haben nicht die Männer die große Rolle gespielt, sondern die Frauen. Am Anfang der Bibel wird angeführt, was sie alles geleistet haben. Maria, die Mutter Jesu, war auch unter diesen Frauen. Zuerst haben die Frauen die Kirche getragen, erst im dritten und vierten Jahrhundert sind die Männer dazugekommen. Die Frauen wurden angenommen, weil sie den Leuten geholfen haben, nicht weil sie Theologie unterrichtet haben.
Für mich ist auch heute noch die Caritas das Allerwichtigste, was die Kirche zu tun hat. Die konkrete Hilfe für die Menschen.