Chronik/Oberösterreich

„Thomas Bernhard war humorvoll und unkompliziert“

„Wir sind mehr oder minder Bernhard-geschädigt“, sagt Michael Fürtbauer. Der 49-Jährige betreibt den Kirchenwirt in Ohlsdorf nahe Gmunden, in dem der Schriftsteller Thomas Bernhard (1931-1989) seinerzeit Stammgast war. Doch dessen häufige Anwesenheit meint Fürtbauer nicht, vielmehr die Tatsache, dass Vater Josef, da konnte noch so viel los sein, mitunter die Arbeit vergaß, wenn unter den Gästen eine hitzige Debatte über den umstrittenen Schriftsteller ausbrach. Der heute 86-jährige Seniorwirt war ein früher Fan von Bernhard, hat alle seine Werke gelesen und verteidigte diesen vehement gegen jedwede Anfeindung. Viele Ohlsdorfer konnten damals mit ihrem berühmten Mitbürger nicht viel anfangen. Zu Unwissenheit gesellte sich Misstrauen.

Aufstand?

Einmal, erinnert sich der Wirt, sei am Postamt ein Telegramm für Bernhard eingelangt: „Umbruch vorbereitet, Fahnen kommen.“ Prompt herrschte im Ort Aufregung, es braue sich Revolutionäres zusammen. Dabei hatte Verlag nur das baldige Einlangen des Vorabdrucks des nächsten Werks avisiert.

Mittlerweile sind die Ohlsdorfer versöhnt. Zum 30. Todestag gab es 2019 hochklassige „Bernhard-Tage“. Auch Auswärtige kommen auf Spurensuche. „Ich wäre aber noch nie auf die Idee gekommen, ein Bernhard-Pfandl anzubieten“, sagt der Wirt und schmunzelt. Ein Poster im Vorhaus muss genügen. Dazu in einem Winkel der Gaststube ein gerahmter „Heldenplatz“-Programmzettel. Der Seniorwirt war bei der Premiere im Burgtheater, hatte von Bernhard eine Karte bekommen, wollte ihm am liebsten zu Hilfe eilen, als sich die Wut eines Teils des Publikums über ihn entlud. Bernhard sei ganz und gar unkompliziert gewesen, erinnert sich Michael Fürtbauer: „Ein freundlicher, sehr humorvoller Mensch. Der ideale Gast.“

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Oft sei er allein gekommen, immer wieder auch in kleinerer oder größerer Runde. „Ich habe Selbstgestricktes immer gehaßt, wie Selbstgekochtes, wie alles Selbstgemachte im Haushalt überhaupt“, lässt Bernhard im Roman „Auslöschung“ den Ich-Erzähler Franz-Josef Murau sagen. Das galt ebenso für den Autor. Die perfekt eingerichtete Küche in seinem Hof in Obernathal in Ohlsdorf diente ihm nur als Kulisse. „Gekocht hat er hier nie, kein einziges Mal“, weiß sein Halbbruder Peter Fabjan zu berichten. Lieber aß Bernhard im Gasthaus oder holte dort Essen ab.

Der narrische Hansi

An noch eine höchst skurrile Situation erinnert sich der Kirchenwirt. Bernhard war mit Burgtheater-Direktor Claus Peymann und dem Bühnenbildner Karl-Ernst Hermann zu Gast, als sich ein Einheimischer zu ihnen gesellte, der im Volksmund „der narrisch Hansi“ gerufen wurde. Der Mann war der Tötungsanstalt Hartheim entronnen, danach in der Nervenheilanstalt Wagner-Jauregg in Linz gelandet und verbrachte den Lebensabend im Altersheim vis-à-vis des Gasthauses. Er war bekannt dafür, zu deklamieren, die Menschen zu segnen und mit frommen Sprüchen zu überschütten. Der Seniorwirt wollte seine Gäste davor bewahren, doch Peymann schritt ein und rief: „Das ist reinste Literatur!“ Und Hermann schwärmte: „Was für ein schöner Mann!“

Bernhard suchte und fand in den Wirtshäusern die Begegnungen mit den Menschen. Einmal nahm sich der Seniorwirt ein Herz und bat Bernhard, ein Buch zu signieren. Der weigerte sich erst, konnte dann aber von seiner Begleiterin dazu überredet werden – und kam nie wieder. „Das war ihm dann wohl zu viel der Nähe“, vermutet der Sohn.