Chronik/Oberösterreich

„Technologiefeindliches Klima“

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René Siegl ist Geschäftsführer der Austrian Business Agency (ABA), der Betriebsansiedelungsagentur der Republik Österreich. Der 53-Jährige  ist in Vöcklabruck geboren und aufgewachsen. Er hat in Linz Jus und  Betriebswirtschaft studiert und bei der voestalpine zu arbeiten begonnen. Seine Frau  Margit ist ebenfalls Linzerin. Siegl ist seit 15 Jahren bei der ABA.

KURIER: Die Oberösterreicher sind stolz auf ihre wirtschaftliche Stärke. Ist dieser Stolz berechtigt?René Siegl: Die Zahlen sind Fakten. Der Stolz ist  berechtigt. Es ist sicher das dynamischste Bundesland. Nicht nur als Industriebundesland, sondern es liegt beim Wirtschaftswachstum und bei der Arbeitslosenquote an der Spitze Österreichs.

Was sind die Gründe?Das ist  die vorhandene industrielle Basis, die es geschafft hat,  die gewisse  Grundstofflastigkeit, die vorhanden war, überzuführen in eine erfolgreiche Industriestruktur. Ich bin überzeugt, dass die Oberösterreicher zu den tüchtigsten Menschen in ganz Österreich zählen.

Gibt es hier tatsächlich Unterschiede?Ja, ich nehme sie wahr.   Es ist ein Unterschied in der Kommunikationskultur. Sie ist in Oberösterreich offener und direkter.  In Wien spricht man viel indirekter, man spricht mehr zwischen den Zeilen, man gebraucht  mehr den Konjunktiv. Es ist ein Unterschied.

Sie haben im Frühjahr eine Betriebsfläche von rund 20 Hektar   für die Ansiedelung eines ausländischen  Unternehmens gesucht. Da wurden Sie auch in Oberösterreich nicht fündig.Es ist in Oberösterreich schwieriger als in manchen anderen Bundesländern. Zum einen stößt die Suche nach qualifizierten Arbeitskräften aufgrund der wirtschaftlichen   Erfolge in manchen Gebieten an die Grenzen.  Vor allem im Zentralraum Linz, Wels, Steyr und in manchen Branchen wie den Metallberufen. Zum anderen mangelt es auch an verfügbaren Flächen zu halbwegs vernünftigen Preisen. Da ist Oberösterreich auch ein bisschen ein Opfer des Erfolges.

Die Industrie klagt über einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Sehen Sie das auch so?Österreich ist bei der Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Arbeitskräften im „World Competitiveness Yearbook" total abgestürzt. Wir waren 2006 und 2007 auf Platz eins und sind nun 2012 auf Platz 50 von 59 Staaten.

Was ist die Ursache?Wir haben eine relativ geringe Arbeitslosigkeit und die, die arbeitslos sind,  sind meist schlecht oder überhaupt nicht ausgebildet.  Facharbeiter und Ingenieure kriegt man kaum.  Was auch noch hineinspielt, sind  die Mängel im Bildungssystem.

Wie sehen die aus?Wir kriegen immer mehr Lehrlinge, die die Basis, nämlich Lesen, Schreiben und Rechnen, nicht mehr beherrschen. Wir haben 15 bis 25 Prozent funktionelle Analphabeten, die aus der Hauptschule kommen. Diese sind für Unternehmen nicht mehr zu gebrauchen, weil auch die Anforderungen für Lehrlinge mit gewissen Qualifikationen verbunden sind. Wenn jemand nicht sinnerfassend lesen kann, ist er auch für den Lehrberuf kaum mehr zu verwenden.Weiters haben wir im oberen Bereich einen Mangel an technischen Ausbildungen.  Es gehen zu viele in die AHS und zu wenig in die HTL. Bei denen, die ein Universitätsstudium abschließen, haben wir ein Überangebot  an  Publizisten, Psychologen, Politologen, Theaterwissenschaftlern, also an Geisteswissenschaftlern.  Gleichzeitig suchen die Unternehmen händeringend nach Absolventen der technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten.

Wie kann man dagegensteuern?Man kann die Qualität des Niveaus in den Hauptschulen steigern. Was ich persönlich schon merke, ist, dass wir eine der technologiefeindlichsten Klimata in der Bevölkerung haben. Bei uns wird der Technologie mit Misstrauen gegenübergetreten.  Wir lehnen auf der politischen wie der Meinungsebene Dinge wie die Gentechnik ab.

Das ist ein Fehler?Das ist aus vielen Gründen ein Fehler. Gentechnik ist unaufhaltsam. Sie wird kommen, mit oder ohne Österreich.

Bei uns rühmen sich die Politiker, dass wir gentechnikfrei sind.Das  ist nachweislich falsch. Natürlich gibt es diese Dinge. Zweitens besteht Gentechnik nicht nur in Nahrungsmittelgentechnik. In der Bevölkerung wird das alles  undifferenziert in einen Topf geworfen.  Gentechnik wird auch in der Biotechnologie eingesetzt, um neue Medikamente zu entwickeln.  In allen diesen Bereichen verbauen wir uns die Chancen und es schafft ein technologiefeindliches Klima im Land.

Beeinträchtigt der Fachkräftemangel bereits unser Wirtschaftswachstum?Ja, definitiv. Ich weiß von einigen Firmen, dass sie große Aufträge ablehnen müssen, weil sie nicht die entsprechenden personellen Kapazitäten haben.

Können Sie das beziffern?Nein, das kann ich nicht. Es kostet  Wirtschaftswachstum. Es ist für Österreich sicherlich ein Flaschenhals. Wird sich die Konjunktur verbessern, wird dieser Effekt in der Bedeutung zunehmen.   In meiner Wahrnehmung ist der Fachkräftemangel in  Oberösterreich noch stärker ausgeprägt als in ganz Österreich. Einerseits aufgrund des Erfolges und der guten Auslastung am Arbeitsmarkt, andererseits, weil das Bildungsangebot dünner ist als im Rest von Österreich.

Schlittert Österreich im nächsten Jahr in die Rezession?Ich glaube nicht, dass wir  eine Rezession erleben werden. Ich glaube nur, dass wir uns in den 2010er-Jahren auf eine Phase niedrigen Wachstums einstellen werden müssen.  Ein  Wachstum von drei bis dreieinhalb Prozent, wie wir es 2006 und 2011 hatten, werden wir in dem Jahrzehnt  nicht mehr sehen. Wenn es gelingt,  in diesen zehn Jahren die Haushaltskonsolidierung halbwegs durchzuführen,  dann wird  Europa gestärkt  aus der Krise hervorgehen, weil vieles an Strukturreformen  durchgeführt  wird, wozu sonst der politische Wille  nicht vorhanden  wäre. Wir haben das in Finnland und in Neuseeland gesehen, die nach den Reformen besser dagestanden sind als zuvor.  Aber man darf auf europäischer Ebene mit dem Reformeifer nicht nachlassen.

Wie sehen Sie unsere Lage im weltweiten Wettbewerb?Europa unterschätzt, was an asiatischer Konkurrenz auf uns zukommt. Wir haben noch immer das Bild der verlängerten Werkbank, der  Billigproduktion.   Wenn man sich heute aber anschaut, wo die internationalen Konzerne ihre Forschungsaktivitäten verlagern, dann ist China die Nummer eins und Indien die Nummer zwei. Und dann kommen die USA.  Das sind Länder, die zu  Hunderttausenden qualifizierte Universitätsabsolventen hervorbringen. Sie sind   erfolgshungrig und kosten  einen Bruchteil unserer Akademiker. Der Unterschied in der Qualifikation ist nicht so groß wie der Gehaltsunterschied. Wir bekommen die Konkurrenz genauso in der höherwertigen Produktion, in der Dienstleistung, der  Forschung und in der Entwicklung.

 

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