SP-Chefin tritt ab: „Man bekommt von den Menschen viel zurück“
Von Josef Ertl
Birgit Gerstorfer war von 2016 bis 2022 Landesparteivorsitzende der SPÖ. Die 59-Jährige tritt nun ihren Sitz in der Landesregierung an ihren Nachfolger Michael Lindner ab. Gerstorfer, die mit ihrem Mann in Alkoven lebt und zwei erwachsene Kinder hat, war vor ihrem Einstieg in die Politik Landesgeschäftsführerin des AMS.
KURIER: Hat sich der Wechsel in die Politik bezahlt gemacht?
Birgit Gerstorfer: Ein klares Ja und eine positive Bilanz. Ich bereute keinen einzigen Tag. Die guten Tage überwiegen weitaus. Persönlich bereichernd sind die Tage, die nicht in den Medien zu finden sind. Die Bevölkerung hat das Bild, in der Politik wird nur gestritten, aber das ist nur ein kleiner Teil des Ganzen. Der viel größere Teil sind die schönen Momente mit den Menschen. Die Menschen freuen sich, wenn man sie unterstützen kann. Man bekommt von ihnen viel zurück. Man lernt viele Menschen kennen, in den unterschiedlichsten Positionen. Das Spektrum der Aufgaben ist ganz weit, es ist abwechslungsreich und manchmal sehr herausfordernd, weil Dinge daherkommen, die völlig unerwartet sind, die man organisieren und entscheiden muss.
Der Start 2016 war für Sie schwierig, weil der damalige ÖGB- und AK-Präsident Johann Kalliauer und der Linzer Bürgermeister Klaus Luger, zwei Schwergewichte in der Landespartei, eine andere Kandidatin bevorzugt haben.
Ich habe mich damals schnell entscheiden müssen. Ich war mein ganzes Leben lang mutig, wenn es um Veränderungen ging. Mein Motto war, man kann es nicht wissen, wenn man es nicht probiert. Es gab damals im Landesparteivorstand unterschiedliche Positionen, aber ich bin gewählt worden. Ich habe es viel länger gemacht, als die meisten gemeint haben, dass ich es schaffen werde. Die Beziehung zu den Gewerkschaften hat sich maßgeblich verbessert. Zu Linz ebenfalls.
Linz hat Ihnen aber heuer die Unterstützung entzogen, bis zum Landesparteitag Parteivorsitzende zu bleiben.
Wenn ich mich auf den Standpunkt gestellt hätte, dass ich nicht vorzeitig zurücktrete, hätte ich eine Mehrheit gehabt. Ich habe bereits vorher mit Lindner über die Form eines Wechsels geredet, für mich war Lindner der Favorit für diese Aufgabe. Ich wollte ihm keine Steine in den Weg legen. Und eines war sicher. Lindner wäre beim Landesparteitag am 1. Oktober gewählt worden, weil ich nicht mehr angetreten wäre. Ich habe nun seit Februar Zeit gehabt nachzudenken. Ich bin wirklich sehr versöhnt mit der Situation und freue mich auf das, was auf mich zukommt.
Sie hatten personelle Änderungen in Ihrem Führungsteam. Bettina Stadlbauer wurde durch Georg Brockmeyer als Landesparteisekretär ersetzt, Lindner folgte Christian Makor als Klubobmann.
Der Rücktritt von Makor war von mir nicht initiiert, er war richtig, aber ich hätte ihn auch unterstützt, wenn er es nicht getan hätte. Ich habe Lindner genauso als Unterstützer empfunden.
Was war Ihre größte Leistung in der Partei und als Landesrätin?
Es ist mir sehr gut gelungen, Ruhe in die Partei zu bringen. 2016 gab es viel Unruhe und unterschiedlichste Positionen. Die damaligen Querelen sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Als ich die Partei übernommen habe, sind wir in den Umfragen zwischen 12 und 14 Prozent gelegen. Die 18,6 Prozent bei der Wahl vor einem Jahr waren natürlich enttäuschend, aber es war trotzdem eine deutliche Verbesserung.
In meiner Position als Soziallandesrätin gibt es mehrere Erfolge. Ich habe mich für die Erhöhung der Wohnplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen starkgemacht, ich habe viel in der Pflegeausbildung verändert, was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass immer noch viele Pflegekräfte fehlen. Ein Bündel an Maßnahmen für pflegende betreuende Angehörige, Ausbau der Frauenhäuser, viele Projekte in den Gemeinden.
Schwarz-Blau hat Ihnen das Sozialressort weggenommen und die SPÖ kompetenzmäßig abgeräumt. Das ist ein erheblicher Schlag für die Partei.
Die größte Enttäuschung der vergangenen sechs Jahre ist Landeshauptmann Stelzer. Hier gibt es zwei Meilensteine. Der eine ist die Kürzung des Sozialbudgets 2017, entgegen einer unterschriebenen Vereinbarung. Hier fehlt es an Handschlagqualität. Das Zweite ist das Sozialressort, das man sich gekrallt hat. Die ÖVP hat knapp 37 Prozent der Stimmen und 90 Prozent des Landesbudgets. Sie macht damit Politik für zehn Prozent der Leute. Bei Fragen der Verteilungsgerechtigkeit ist großes Schweigen.
Welche Maßnahmen muss die SPÖ setzen, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen? Politik wird dann gewählt, wenn sie glaubwürdig ist. Wir vertreten glaubwürdig das Thema der Verteilungsgerechtigkeit, wir vertreten ganz glaubwürdig, dass man gegen die Teuerung etwas tun muss. Nicht in Form von Einmalzahlungen, die zwar nett sind, aber man muss Preisbremsen bei Gas, Strom und Treibstoff einziehen.
Sie haben Karriere gemacht. Sie haben Ihre Berufslaufbahn als Teilzeitkraft beim AMS in Eferding begonnen, und sind zur SPÖ-Chefin aufgestiegen. Was macht Ihren Erfolg aus?
Mutig die Dinge tun, wenn sich die Gelegenheiten bieten. Es gibt im Leben viele Gelegenheiten, die man beim Schopf packen kann. Das andere ist, mit Ausdauer, Fleiß und Zuversicht die Dinge anpacken. Und ein spezieller Rat für die Frauen: Sich nicht in die zweite Reihe stellen, wenn ein Platz in der ersten Reihe frei ist. Als Frau hat man andere Rahmenbedingungen als ein Mann. Ich habe zu arbeiten begonnen, als meine jüngste Tochter zwei Jahre alt war. Ich bin AMS-Chefin geworden, als meine jüngste Tochter sieben Jahre alt war. Ich hatte damals das Glück, dass ich zwei Großmütter hatte, die mich unterstützt haben. Damals gab es keine Krabbelstuben und keinen Hort. Kinderbetreuung ist der Schlüssel für die Berufstätigkeit und die Karrieremöglichkeit der Frau. Hier sind wir in Oberösterreich ganz schlecht aufgestellt. Frauen können nur dann am Arbeitsmarkt teilhaben, wenn sie jemanden für die Kinder haben.